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Die meisten Politiker äußern sich zum geplanten Atommüll-Zwischenlager in Würgassen kritisch

Protest gegen Überrumpelung und fehlende Transparenz

Beverungen/Würgassen (WB). Die Debatte um das für die Dauer von mindestens 30 Jahren auf dem früheren KKW-Gelände geplante Atommüll-Zwischenlager hält an. Weitere Politiker äußerten sich:

„Atomkraft nein Danke“ – das Motto der Anti-AKW-Bewegung ist nach wie vor gültig. Daran haben Holzmindener Grüne zum Jahrestag der Reaktorkatastophe im japanischen Fukushima erinnert. Sie lehnen ein Zwischenlager in Würgassen ebenso wie andere Parteien ab.

MdL Matthias Goeken (CDU)

Der von der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) vorgelegte Vorschlag, in Würgassen ein „Logistikzentrum für das Endlager Konrad“ zu errichten, erschrecke zurecht die Bürgerinnen und Bürger in der Region. Laut Planung der (BGZ) sollen ab 2027 in einer 325 Meter langen Stahlbetonhalle (650 000 Kubikmeter) bis zu 15.000 Container mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen gelagert und sortiert werden. „Über die Planung wurde die Stadtverwaltung und der Kreis so wie auch wir als Mandatsträger nicht vorzeitig informiert. Für uns stellen sich folgende Fragen: Warum wird ein Standort nicht in der Nähe des Schacht Konrads favorisiert? Welche Kriterien sind für Gleis- und Straßeninfrastruktur für die Entscheidung zu Grunde gelegt worden? Der BGZ-Vorstand muss nun deutlich erklären, warum Würgassen vor Braunschweig vorgezogen werden soll. Die Bewertungsmatrix für die Bahn- und der Straßeninfrastruktur ist meiner Meinung nach nicht nachzuvollziehen“, erklärte der Landtagsabgeordneter Goeken.

Er betont außerdem: „Die Kommunikationsstrategie der BGZ wirft bei vielen Menschen Fragen auf. Zum Beispiel: Welche Stoffe sollen und würden gelagert werden? Welche Mengen würden zeitgleich in Würgassen gelagert? Lässt sich das Standortrisiko durch einen priorisierten Abtransport der Fässer aus dem Abbau des KKW Würgassen vermindern? Wie soll das Konzept für den Transport auf Schiene und Straße ausschauen? Welche Routen würden genutzt? Viele berechtigte Fragen, auf die wir klare und verbindliche Antworten benötigen“, so Goeken.

„Viele Bürgerinnen und Bürger in unserer Region lehnen ein solches Projekt deutlich ab. Deshalb sehe ich die Pläne sowie die Vorgehensweise von der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ), ohne die Nachbarländer Hessen und Niedersachsen einzubinden, als schwierig und als höchst unverständlich an“, sagt Goeken.

Seine Forderungen an die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) und das Bundesumweltministerium seien klar: „Das gesamte Planungsverfahren muss transparent durchgeführt werden. Bürgerinnen und Bürger, Politiker sowie beteiligte Behördenvertreter müssen, soweit keine Sicherheitsinteressen betroffen sind, umfassenden Zugriff auf alle Daten haben. Klar muss sein, dass ein Logistikzentrum nur in Verbindung mit Schacht Konrad genehmigt werden darf. Auch die niedersächsische und hessische Seite ist in die Planungen eng einzubinden. Die eingeleitete strukturelle Entwicklung – wie zum Beispiel im touristischen Bereich, der Gewerbeansiedlung und bei der Rückkehr von Fachkräften im Dreiländereck Beverungen, Bad Karlshafen und Samtgemeinde Boffzen – könnte durch das Projekt gefährdet werden, da man mittelfristig von einer grünen Wiese auf dem ehemaligen KKW Gelände ausgegangen war. Hierzu regen wir an, von der Stadt Beverungen ein Gutachten in Auftrag zu geben, dessen Kosten von der BGZ zu erstatten sind, so Goeken.

Leonard Rexhepi, Junge Union Kreis Höxter

Für die Junge Union äußerte sich JU-Kreisvorsitzender Leonard Rexhepi: „Frau Schulze sollte sich nach diesem Kommunikationsdesaster fragen, ob sie als Bundesumweltministerin überhaupt noch ein Überblick über ihr Ministerium hat. Eine solche Entscheidung trifft man nicht mal eben so, da fehlt, meiner Meinung nach, jegliches Demokratieverständnis. Menschen müssen informiert und mitgenommen werden. Angefangen bei ihren gewählten Volksvertretern.“ Das zeige deutlich: „Das Bundesumweltministerium hat wohl kein Interesse an einem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Wir sollten jetzt den Druck auf die Bundesregierung aufbauen, damit wir am Ende das Beste für die Region rausholen. Wird es kein Protest aus der Bürgerschaft geben, zeigen wir den Leuten in Berlin, das man mit uns alles machen kann.“

Peter Eichenseher (AfD)

Peter Eichenseher aus Bad Driburg, heute Pressesprecher der Kreis-AfD und früher prominenter Grünen-Abgeordneter im NRW-Landtag, nimmt wie folgt zu Würgassen und zum Ausschluss von Zwischenlagerbefürwortern auf der Facebook-Seite der Kritiker Stellung: „Aus der Sicht eines Atomkraftgegners, der im Jahr 1995 nach mehrjährigem Einsatz in einer Bürgerinitiative die Stilllegung des AKW Würgassen als Erfolg feiern durfte, fällt mir auf den ersten Blick der Unterschied zwischen der Facebook-Community und einer starken, zielgenau argumentierenden und strategisch ausgerichteten Bürgerbewegung auf. Ob es auch Gemeinsamkeiten gibt, wird das bevorstehende Verfahren zeigen.“ Er betont weiterhin: „Wir sind damals sehr tief in die technische, gesellschaftliche und juristische Auseinandersetzung um den Fortbetrieb des ‚Pannenmeilers‘ Würgassen eingestiegen. Gemeinsam mit dem Öko-Institut, dem Marburger Verfassungsrechtler Peter Becker und gemeinsam mit vielen engagierten Aktivisten aus allen gesellschaftlichen Schichten hatten wir dieses Gefecht auf technischer, juristischer und politischer Ebene begonnen – taktisch klug über Jahre fortgeführt und mit der endgültigen Stilllegung zum Ziel geführt“, berichtet Eichenseher.

Es sei den Facebook-Gruppen gegönnt, nur die enge Perspektive der Gegnerschaft zum „gehassten Projekt“ einzunehmen. Gesellschaftlich wirksam sei man damit noch nicht. „Sich im eigenen Schneckenhaus oder der uniformen Echokammer von Facebook stark zu fühlen, den kritischen Argumenten und den Kompromisslinien auszuweichen, birgt die Gefahr im Sektierertum zu enden. Jede Bürgerinitiative, die diesen Namen verdient, sollte immer auch die Argumente der Gegner würdigen und vor allem – die Kritiker in den eigenen Reihen stärken. Ihre Kraft ist unverzichtbar für die breite gesellschaftliche Wirkung und – nach meiner Erfahrung – auch für den langfristigen Erfolg“, sagt Eichenseher.

Die Attitüde „wir sind mehr“ und „wir grenzen aus“ sei heute in der politischen Auseinandersetzung sehr beliebt, „aber aus meiner Sicht langfristig nicht erfolgsversprechend. Opportunistische Politiker lassen sich davon stark beeindrucken, aber Projekte werden damit kaum bewegt“.

Es fehle mancher der heutigen Aktivisten-Gruppen das Augenmaß für die Abwägung der Argumente. Vor allem aber fehle jedes Maß der Risikobewertung. „Am Standort Würgassen sind das Schadens-Risiko und das potentielle Schadensausmaß mit der Stilllegung des AKW um den Faktor 1000 bis 10.000 verringert worden“, meint Eichenseher.

Wer Atomkraftwerke still legt und abbaut, müsse ein Konzept für die Logistik und Lagerung des anfallenden Abfalls vorlegen und mit höchsten Sicherheitsstandards umsetzen. „Dass hier nicht nur in der Kommunikation seit Jahrzehnten verheerende Fehler gemacht werden, ist die Schuld der Bundesumweltminister. Ganz gleich, ob unter Jürgen Trittin oder Svenja Schulze, dieses Ministerium hat in Standortfragen stets laviert und gemauschelt. So kann man mit den mündigen Bürgern im Kreis Höxter nicht umspringen“, betont Eichenseher abschließend.

Stellungnahmen der Grünen

Wer Atommüll anliefern will, muss davon überzeugen, dass das notwendig und richtig ist und dass die Bevölkerung geschützt ist.“ Auf diese einfache Formel bringt Ricardo Blaszczyk, Sprecher der Grünen im Kreis Höxter, die Diskussion um ein beabsichtigtes Logistikzentrum für Atommüll in Würgassen. „Wir Grüne sind uns einig: In einer lebendigen und aufgeklärten Demokratie ist Transparenz die erste Pflicht, wenn es um die Planung von Anlagen für Atommüll geht.“

Dieser Grundsatz sei mit der überfallartigen Ankündigung der Atommüllsortierungsanlage in Würgassen grob missachtet. Dadurch sei Vertrauen gleich zu Beginn nahezu vollständig verspielt worden. Dass nun breiter Protest aufkommt gegen diese ungenügende Information und Beteiligung, sei die logische Konsequenz.

„Es ist klar, dass die von uns Grünen immer bekämpfte Nutzung der Atomenergie auch Lasten in Bezug auf die Bewältigung des entstandenen Atommülls mit sich bringt. Die Bereitschaft der Bevölkerung, diese Lasten mitzutragen, ist angewiesen auf ein offenes transparentes Planungsverfahren“, beziehen die Grünen Stellung. „Nach der überrumpelnden Ankündigung des Vorhabens durch die Gesellschaft für Zwischenlagerung BGZ fordern wir eine vollständige Aufklärung über die Planung.“

Die Grünen erwarten Antworten auf die Fragen, warum das Verfahren der Bereitstellung und Konditionierung des Atommülls zentral an einem dritten Standort erfolgen soll, statt an den Entstehungsorten der Atomkraftwerke oder am Endlagerstandort, und welche Kriterien zur Auswahl von Würgassen als Standort geführt haben sowie wie es im Alternativenvergleich abgeschnitten hat. Beantwortet werden müsse auch, welche Perspektiven in Bezug auf Laufzeit, Mengenabwicklung und späteren Rückbau für den Standort des Logistikzentrums vorgesehen werden. „Und es ist zu fragen, wie damit umgegangen wird, dass Schacht Konrad genehmigte Kapazitäten nur für die Hälfte des schwach- und mittelradioaktiven Mülls hat und Deutschland ein zweites Endlager für diese Stoffe fehlt“, zählt Gisbert Bläsing, Fraktionssprecher der Grünen im Kreistag sowie im Rat der Stadt Beverungen, auf.

„Das jetzt anlaufende Genehmigungsverfahren muss von der Gesellschaft für Zwischenlagerung BGZ sowie von der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition genutzt werden, all die offenen Fragen zu klären und eine offene Bürgerbeteiligung sicher zu stellen“, fordert Ricardo Blaszczyk. „Wir GRÜNE werden diesen Prozess sehr kritisch begleiten und in allen Phasen maximale Transparenz fordern. Ein nachvollziehbares Verfahren mit objektiven Kriterien ist das gute Recht der von einer Planung betroffenen Menschen. Erst recht bei einem derart heiklen Gegenstand wie dem Atommüll. Wir Grüne wissen, dass wir in Deutschland massive ungelöste Probleme beim Rückbau der AKW, bei der Endlagersuche für hochradioaktiven Müll aber auch bei der Entsorgung von schwach- und mittelradioaktivem Müll haben.“ Die Hinterlassenschaften der Atomkraftnutzung seien eine Mammutaufgabe.

Anlässlich des neunten Jahrestages der Reaktorkatastrophe von Fukushima haben Die Grünen im Landkreis Holzminden an die weiterhin von der Atomindustrie ausgehenden Gefahren erinnert. „Einerseits lagern kurz hinter der nördlichen Kreisgrenze in dem noch im Betrieb befindlichen Atomkraftwerk Grohnde Castorbehälter mit hochradioaktiven Brennelementen. Und nun soll auch noch unmittelbar an unserer südlichen Kreisgrenze ein neuer Hotspot für radioaktiven Müll entstehen”, sorgt sich der grüne Kreisvorstand um die Sicherheit. Damit wäre die Bevölkerung in den Kreisen Holzminden und Höxter der ständigen Gefahr durch Unfälle und die Freisetzung von Radioaktivität ausgesetzt.

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