Trotz Corona: Zweite Runde des Projektes „Kultur-Geselle im Kreis Höxter“ ist ein Erfolg
Comic wird zur Botschaft der Jugend
Beverungen/Steinheim/Warburg (WB). Junge Menschen aus der Region treffen im Herbst auf erfahrene Künstler – und daraus entwickelt sich eine besondere Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die auch bei der zweiten Auflage des Förderprojektes „Kultur-Geselle im Kreis Höxter“ für Überraschungen und starke Arbeiten wie Momente steht.
„Es ist wie eine Wundertüte. Man weiß vorher nicht, was drinsteckt. Das hängt von jedem Teilnehmer ab“, betont der Warburger Künstler Sebastian Ickrath im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT. Ickrath gehört neben Laura Schlütz (Modekünstlerin) und Elisabeth Brosterhus (Landart, Glasarbeiten und Malerei), beide aus Steinheim, und dem Cartoonisten André Sedlaczek aus Detmold zu den vier Profis, die sich an der wegen der Corona-Pandemie reduzierten Version der Talentförderung („Kultur-Geselle 2020“) beteiligt haben.
Noch bis zum Ende dieser Woche läuft das rund zweiwöchige Projekt. Bildhauer und Mitinitiator Manfred Webel (Vorstandsmitglied der „Paderborner Kreaturen“) zog auf Anfrage dieser Zeitung eine erste Bilanz: „Dieses zweite Projektjahr im Kulturland hat unter besonderen Vorzeichen gestanden. Leider durften wegen Corona ausnahmsweise nur vier Künstler jeweils maximal vier Jugendliche aufnehmen. Wir konnten die Heranwachsenden im Vorfeld nicht wie in 2019 persönlich in Schulen und Jugendeinrichtungen aufsuchen und einladen.“ Im vergangenen Jahr hatten auf Anhieb 33 Jugendliche mitgemacht.
Dennoch freuen sich die Veranstalter, dass nun immerhin ein Dutzend Talente den Weg zu den Künstlern gefunden haben. Für die jungen Leute ist die Teilnahme kostenlos – weil das Projekt Unterstützung erfährt von der Bezirksregierung, dem Kulturministerium, von Sponsoren und dem Kreis Höxter. Insgesamt zwölf Teilnehmerinnen haben die Chance ergriffen, sich in die faszinierende Welt der Farben, Formen und Elemente führen zu lassen. Manfred Webel: „So individuell sie selbst sind, so individuell sind auch die Themen und Ausdrucksformen, die sich in ihren Kultur-Gesellenstücken spiegeln.“
Im Veranstaltungsraum des Korbmachermuseums von Dalhausen hat der Detmolder Cartoonist und Comiczeichner André Sedlaczek in den vergangenen Tagen mit den Schwestern Sham (15) und Sadeel (18) an einem außergewöhnlichen Kunstprojekt gearbeitet. „Auch für mich als Comiczeichner ist dieses Thema ein neues Arbeitsfeld. Es geht um die Erlebnisse der beiden Mädchen, die vor dem Krieg in ihrer alten Heimat Syrien noch viele schöne Momente hatten. Dann aber rückte vor mehr als fünf Jahren plötzlich die Bedrohung, Flucht über das Meer und ihr neues Leben in Deutschland in den Fokus.“
Am Anfang der Projekttage habe das Gespräch mit den beiden Mädchen gestanden. Ihre Eindrücke haben sie gesammelt und dann zunächst auf kleinen Karten skizziert. Für die 15-jährige Sham ist dieser Austausch wie eine Zeitreise, die sie zurück an frühere Stationen in ihrem Leben bringt.
„Ich weiß noch genau, als ich in der Hauptstadt Damaskus mit anderen auf dem Weg zur Schule war. Dann hörten wir zum ersten Mal eine Bombenexplosion. Die Wucht der Detonationswelle war kilometerweit zu spüren. Wir weinten und hatten große Angst.“ Auch die Flucht (2015) im überfüllten Boot über das Meer (von der Türkei nach Griechenland) bewegt sie noch heute. „Ich werde nie vergessen, als ich zum ersten Mal in meinem Leben im Flüchtlingslager auf dem nackten Boden schlafen musste“, so Sham. Heute hätten beiden mit ihrer Mutter („Eine starke Frau, die Vorbild für uns ist!“) in Beverungen längst eine neue Heimat gefunden. Einsamkeit, zerstörte Häuser, Bedrohung und Freundschaften – dieser Comic als „Gesellenstück“ verspricht eine starke wie berührende Darstellung der Lebensstationen von Sham und Sadeel zu werden.
Steinheim: Welt der Malerei
Auf dem Rücken der Pferde bewegt sich die 17-jährige Gymnasiastin Hannah aus Holzhausen als Leistungssportlerin im Voltigieren absolut sicher. Beim Projekt „Kultur-Geselle 2020“ betritt sie zwar kein Neuland, hat aber viele Fragen und Ideen. Auf einem 60 mal 80 Zentimeter großen Holzrahmen setzt sie aktuell unter Anleitung der Steinheimer Profikünstlerin Elisabeth Brosterhus zwei Frauenakte (liegend und stehend) um. „Die Arbeit mit Körperformen interessiert mich. Dabei gilt es aber wichtige Details zu beachten, zum Beispiel die richtigen Proportionen“, verrät Hannah, die auch schon 2019 zur Premiere die Möglichkeit der Teilnahme an diesem Projekt nutzte. Mit einer Bleistiftzeichnung begann sie ihr neuestes Werk, das bis zum Ende der Woche noch farblich gestaltet werden soll. „Die Chance, hier kostenlos neue Dinge künstlerisch auszuprobieren, finde ich klasse“, lobt die Bredenschülerin. Jeder könne seinen Ansatz verfolgen und sei frei in der Themenwahl.
Selma (sie studiert unter anderem Kulturanthropologie) und ihre Freundin Ria (eine junge Hebamme aus Steinheim) haben in den vergangenen Tagen ebenfalls an der Staffellei im Weber-Forum (der Werkraum wurde von der Stadt kostenfrei zur Verfügung gestellt) mit großer Freude gestanden. Ria lässt eine „Walpurgisnacht“ (faszinierende Waldszene) aufleben und Selma überzeugt mit einem starken Frauengesicht, das durch Form und Farbe besticht. „Diese Talentförderung von jungen Leuten bereitet auch mir viel Spaß“, so Expertin Brosterhus.
Warburg: Blick für neue Ansichten öffnen
In seinem Atelier hat der freischaffender Künstler Sebastian Ickrath (1965 in Berlin geboren) in den letzten Tagen der 18-jährigen Teilnehmerin Marie einen spielerischen Zugang zur Kunst vermittelt. Ickrath, der seit 2004 in Warburg lebt, bevorzugt großformatige Arbeiten in opulenter Farbigkeit, meist im Siebdruckverfahren hergestellt. Mit einer Mischung von östlichen sowie westlich geprägten Symbolen, Farbwelten und Kompositionsmustern erzeugt er einzigartige Stimmungen. Ickrath: „Zunächst ging es darum, sich mit Marie auszutauschen und ihr zu helfen, ihren eigenen Ausdruck zu finden.“
Der Weg zum „Ich“ sei nicht immer leicht. Plastische und reliefartige Werke haben bei der Zusammenarbeit im Mittelpunkt gestanden. Schließlich hat Marie mit Ickrath eine Arbeit aus dünnen Holzplatten entwickelt, die mit ihrem Farbspiel auch einen schönen dekorativen Ansatz bietet.
Kommentar
Im Kreis Höxter können sich seit der Premiere 2019 junge Menschen auf ein besonderes Experiment einlassen und als „Gesellen“ zwei Wochen lang ihre Talente entdecken – an der Seite von Profis der Kunstszene. Dieses für sie kostenlose Angebot wird gefördert und ist eine Bereicherung für die Region. Denn es bietet einen neuen Zugang zu Jugendlichen, die wiederum am Ende ihre Welt über die „Gesellenstücke“ in die Öffentlichkeit bringen. Von diesem Austausch profitieren dann alle. Harald Iding
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