Eine Darstellung des Dechanten Wilhelm Kramer erinnert an einen tapferen Gottesmann
Der Pfarrer in der Weihnachtskrippe
Warburg
Die Weihnachtskrippe der Warburger Neustadtkirche bietet eine Besonderheit: Man kann neben den vertrauten Figuren einen barfüßigen Hirten mit fast bloßem Schädel und Priesterkragen entdecken.
Der Bildhauer hatte sich für diese Figur den damaligen Pfarrer der Neustadt, Dechant Wilhelm Kramer, als Modell gewählt. Von ihm handelt die nächste Folge unserer Serien „Ein Bild – und seine Geschichte“.
Zum Weihnachtsfest 1949 wurde diese Krippe erstmals gezeigt. Gefertigt worden war sie aus dem alten Eichenholz des im Vorjahr erneuerten Glockenstuhles.
Der Hintergrund: 1941 hatten die damaligen Machthaber „mit harter Hand“, wie es in der Pfarrchronik heißt, nach den Glocken der Neustadtkirche gegriffen. Drei Bronzeglocken verschwanden im Schmelzofen für die Rüstung, nur eine kleine Glocke war geblieben.
Drei Jahre nach Kriegsende läuteten zum Weihnachtsfest neue Glocken. Sie waren aus Stahl gegossen worden und deutlich schwerer als die alten Bronzeglocken.
Deshalb musste ein neuer Glockenstuhl her. Ein Teil des alten Holzes fand dann Verwendung für die neue Krippe.
Geschaffen hat sie der Kölner Bildhauer Paul Giesbert Rautzenberg (1899-1969). Der Warburger Geistliche und der Bildhauer waren seit den dreißiger Jahren miteinander befreundet. Ihre Wege hatten sich in Dortmund-Husen gekreuzt, wo Kramer damals an der Petrus Canisius-Kirche wirkte. Rautzenberg fertigte eine ganze Reihe von kirchlichen Kunstwerken für diese Kirche.
Wilhelm Kramer war am 5. Dezember 1889 im sauerländischen Eversberg, heute Stadtteil von Meschede, als Sohn eines Lehrers geboren worden.
Nach dem Abitur in Emmerich studierte Kramer zunächst Jura, wandte sich dann aber dem Theologiestudium zu, das er in Münster und Paderborn absolvierte.
Aus dem Studium wurde er 1914 zum Militärdienst eingezogen und wurde schließlich zum Artillerieoffizier befördert.
Ab 1919 setzte er das Theologiestudium fort. Am 12. März 1921 wurde er im Paderborner Dom zum Priester geweiht.
Bis 1925 war er an der Propsteikirche in Bochum tätig. Vom 20. Januar 1925 bis zum 30. September 1928 wirkte er als Pfarrvikar in Sönnern, heute Stadt Werl.
Danach war Kramer drei Jahre lang als Lehrer für Religion, Deutsch und Latein in Hamm tätig.
In dieser Zeit engagierte er sich besonders für den Bund Neudeutschland, der 1919 als „Verband katholischer Schüler höherer Lehranstalten“ gegründet worden war.
Wieder in der Seelsorge war Kramer von 1931 bis 1935 in Gelsenkirchen-Schalke und bis 1941 in Dortmund-Husen tätig. Am 7. September 1941 ernannte ihn der Erzbischof von Paderborn zum Pfarrer von Warburg-Neustadt. Ab 1943 war Wilhelm Kramer Dechant des Dekanats Warburg.
Auf eigenen Wunsch legte er aus Gesundheitsgründen dieses Amt 1951 nieder und wurde zum Ehrendechant ernannt.
Am Sonntag, dem 31. Oktober 1954, starb Wilhelm Kramer nach langer schwerer Krankheit. „Dechant Kramer war eine eigenwillige Persönlichkeit von weithin strahlender Wirksamkeit.“ So lautet eine der Schlüsselaussagen im Nachruf.
Wilhelm Kramers Rolle in der NS-Zeit und bei Kriegsende hat Heiko Bewermeyer in seiner im vergangenen Jahr erschienenen Untersuchung „Warburg Stunde Null“ dokumentiert. Als Quelle dienten in erster Linie die Aufzeichnungen Kramers in der Pfarrchronik.
Schon bald nach seinem Amtsantritt in Warburg stand der neue Neustadtpfarrer in deutlicher Opposition zu den lokalen Vertretern des NS-Regimes. Mehrfach wurde er von der Gestapo verhört und kurzfristig festgenommen. Bürgermeister Otto Schlötel versuchte vergeblich, ihn in Verbindung mit dem Widerstandskämpfer Josef Wirmer zu bringen.
Zu Kramers Rolle nach Kriegsende schreibt Bewermeyer: „Als Respektsperson das Wohl seiner Gemeinde und die katholischen Interessen abwägend, besaß er politischen Einfluss und scheute sich nicht, von der Kanzel herab geharnischt die Leviten zu lesen.“
Paul Giesbert Rautzenberg hatte eine Bildhauerlehre bei Heinrich Hartmann in Wiedenbrück absolviert. Die Werkstatt war auf kirchliche Kunst spezialisiert.
In den 20er-Jahren machte er sich in Köln als freischaffender Bildhauer selbstständig. In mehr als 70 Gotteshäusern hat er Spuren hinterlassen, Altäre, Figuren, Figurengruppen.
Besonders expressiv gestaltete er seine Kreuzigungsdarstellungen. Für die Waldkapelle in Bad Driburg schuf er 1932 eine Schutzmantelmadonna. Zu den frühen Arbeiten Rautzenbergs zählen Weihnachtskrippen.
Eine 2017 erschienene Monographie über den Künstler nennt unter den wenigen erhaltenen Krippen auch die 1949 für die Neustadtkirche geschaffene. Häufiger wählte Rautzenberg für seine Krippenfiguren auch Menschen aus der Umgebung als Modelle. So auch in Warburg. Ungewiss ist, ob Dechant Kramer davon vorab wusste.
Zur Serie
Gemeinsam mit dem Warburger Stadtarchiv im „Stern“ bietet das WESTFALEN-BLATT die Serie „Ein Bild – und seine Geschichte“. Wir haben interessante Motive und selten erzählte Geschichten entdeckt, die wir in loser Reihenfolge in dieser Zeitung aufbereiten sowie auf unseren Online-Kanälen präsentieren. Die bald 1000-jährige Stadtgeschichte bietet eine Fülle an Themen.
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