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Hausnummer 24: WESTFALEN-BLATT stellt in Adventskalender-Serie Werkstätten Am Grünenberg in Ottbergen vor

Gemeinschaft trägt durch die Krise

Ottbergen

Zusammensitzen und plaudern, zwischendurch mal eine Runde Tischfußball spielen, dann kurz an der Info-Tafel schauen, was es Neues gibt: Im Foyer der Werkstätten Am Grünenberg herrscht normalerweise muntere Betriebsamkeit, wenn die Beschäftigten Pause haben. Normal ist in der Corona-Pandemie jedoch nichts.

Sabine Robrecht

In der Oase basteln die Fachkräfte Monika Hecker-Stepholt (Dritte von rechts) und Sarah Cekaj (Dritte von links) mit den Beschäftigten Gabriele Reineke, Irmhild Tilly, Elisabeth Wiedemann, Siegfried Freitag und Susanne Mikus Weihnachtsschmuck. Foto: Sabine Robrecht

Die Pausen werden so gestaltet, dass Kontakte beschränkt sind. Der Kicker und einige Sitzbereiche sind gesperrt. Es ist also vergleichsweise ruhig im Foyer. Trotz aller Einschränkungen hat sich jedoch der Gemeinschaftsgeist erhalten, der die Arbeitsatmosphäre in dieser Einrichtung für Menschen mit Unterstützungsbedarf prägt. Und auch das hoffnungsvolle Licht der Weihnacht hat Einzug gehalten. Gleich im Eingangsbereich zaubert ein Weihnachtsbaum den Eintretenden ein Lächeln aufs Gesicht – und hat im Advent die Vorfreude auf das Fest geweckt.

Baum geschmückt

Diese Freude war groß, als Mitarbeitende aus dem Förderbereich den Baum mit Kugeln und Lichtern geschmückt haben. Mit dieser Freude verbinden sie und alle anderen Beschäftigten des gemeinnützigen Unternehmens der Lebenshilfe Höxter mit 500 Arbeitsplätzen an den Standorten Ottbergen und Brakel natürlich auch die Hoffnung, dass bald wieder Normalität zurückkehrt.

Geschäftspartner

Diesen Wunsch teilen Lebenshilfe-Geschäftsführer Hans Markus und sein Team. In den mehr als zehn Abteilungen der Werkstätten in Ottbergen kümmern sich Fachkräfte der Arbeits- und Berufsförderung, des Sozialen Dienstes und technische Leiter um die 350 dort tätigen Menschen mit geistiger oder körperlich-geistiger Behinderung. Sozialarbeiterin Christa Handloser ist seit 20 Jahren im Team und stellt dem WESTFALEN-BLATT im Rahmen seiner Adventskalender-Serie den großen Betrieb am Lintrott 18 und 22 bis 24 vor.

Andrea Berger und Frank Gruner montieren an ihren speziell eingerichteten Arbeitsplätzen Möbelrollen. Foto: Sabine Robrecht

In der Abteilung für Industriemontage und Verpackung mit 30 Beschäftigten sind fleißige Hände an diesem Dezembermorgen dabei, Gläser für die Firma Noelle & von Campe zu montieren und zu verpacken. „Es ist schön, dass wir Industriepartner haben, die unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen“, sagt Christa Handloser.

Zu den Partnerunternehmen gehört auch die Firma Karweg aus Peckelsheim, die mit höchsten Qualitätsanforderungen Kunststoff- und Hybridteile fertigt. Für diesen Betrieb montieren Andrea Berger und Frank Gruner an zwei speziell eingerichteten Arbeitsplätzen Möbelrollen. „So sehen sie aus“, zeigt Andrea Berger eine fertige Rolle. „Ich schaffe 400 am Tag“, sagt sie.

Steffen Seipel füllt an der Brikettier-Presse die Papiertüten mit Holzbriketts. Foto: Sabine Robrecht

Ebenfalls mit Möbeln – aber nicht nur – hat eine Abteilung zu tun, die auf dem großen Gelände der Werkstätten viel Platz benötigt: die Holzverarbeitung. „Vom Baumstamm bis zum Endprodukt machen wir jeden Arbeitsgang selber“, erläutert Christa Handloser. So stehen im Laden, der zur Bio-Bäckerei des großen Betriebes gehört, Regale und Präsent-Kisten aus der eigenen Holzabteilung.

Keine Einbahnstraße

Mit den anfallenden Sägespänen, die in ein großes Silo eingezogen werden, wird die Werkstatt geheizt. Ein Teil der Späne wird aber auch zu Holzbriketts gepresst. Diese werden in Papiertüten verpackt und unter anderem im Rewe-Markt in Ottbergen verkauft. Während Steffen Seipel eine Tüte nach der anderen füllt, läuft ganz in der Nähe die Vielblattsäge. Sie teilt Baumstämme in Bretter und liefert dabei gleich wieder neue Späne für die Briketts. In der Metallwerkstatt bedienen Kollegen unterdessen Computer gesteuerte Maschinen. Christa Handloser: „In den unterschiedlichsten Abteilungen übernehmen Beschäftigte als zuverlässiger Partner von Industrie und Handwerk sowie als Anbieter von Dienstleistungen und Eigenprodukten für Privatkunden engagiert die anfallenden Arbeiten.“

Backwaren aus der Bio-Bäckerei und auch andere Produkte werden im hauseigenen Laden angeboten. Im Bild Peggy Höke. Foto: Sabine Robrecht

Aufgabe und Auftrag der Fachkräfte der Werkstätten sei die so genannte „Maßarbeit“, erläutern Christa Handloser und Hans Markus: Dabei geht es darum, die Arbeiten so zu gliedern, dass Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen sie bewältigen können.

Berufliche Bildung

Am Anfang steht in dem gemeinnützigen Unternehmen der Lebenshilfe die berufliche Bildung: Diese schließt sich an die Förderschule an und dauert 27 Monate. Großküche, Bäckerei, Metallwerkstatt, Garten- und Landschaftspflege, Näherei, Holzverarbeitung, Verpackung und Montage: Die jungen Menschen lernen alle Bereiche der Werkstätten kennen. Bildungsbegleiter betreuen sie. Später wird der Nachwuchs dann in den Werkstätten seinen Fähigkeiten und Vorlieben entsprechend eingesetzt. Der Weg in den ersten Arbeitsmarkt ist aber auch möglich. „Die Werkstatt ist keine Einbahnstraße.“

Besinnlich

Besinnlicher als etwa in den handwerklichen Abteilungen geht es bei denen zu, die kurz vor dem Ruhestand stehen. Auf diese Lebensphase werden sie in der Oase, so heißt ihr behaglich eingerichtetes Arbeitsumfeld, behutsam vorbereitet. „Wenn die Tagesstruktur der Werkstatt wegfällt, soll jeder eine Perspektive entwickelt haben, seinen Alltag sinnvoll zu gestalten“, sagt Christa Handloser. Auch mit den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie „versuchen wir möglichst an unserem Tagesablauf festzuhalten, um damit den Beschäftigten größtmögliche Sicherheit und Zuversicht zu geben“, erläutert Monika Hecker-Stepholt, eine der Fachkräfte der Abteilung. Zu den Beschäftigungsmöglichkeiten gehören Kochen, Backen, Kreativangebote und die Biografiearbeit. Die Frauen und Männer sollen in der Rückschau auf ihr Leben sich selbst und ihre Leistung wertschätzen.

An einem Morgen im Dezember basteln sie in der Oase gemeinsam Tischdeko für eine Adventsfeier. Siegfried Freitag erzählt, dass er gerne Kreuzworträtsel und Sudokus löst. Elisabeth Wiedemann zeigt ihre Märchensammlungen: Sie hat am Laptop beliebte Klassiker der Brüder Grimm abgeschrieben, mit Bildern illustriert und in Heften zusammengefasst. Diese liebevoll gestalteten Märchensammlungen warten nun darauf, von Elisabeth Wiedemann zum Fest verschenkt zu werden.

Said Hoffmann (links) und Erik Externbrink (rechts) schmücken mit Unterstützung von Stefan Augustin den Weihnachtsbaum im Eingangsbereich. Foto: Sabine Robrecht

Gemeinschaft und Anregung erfahren in den Werkstätten auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Sie erleben im Förderbereich Gemeinschaft und übernehmen ganz nach ihren Möglichkeiten kleinere Aufgaben. Kleinteilverpackungen gehören dazu. So verpackt Said Hoffmann, der den Weihnachtsbaum im Foyer mit geschmückt hat, zwei Wochen vor Heiligabend Ostereierfarben für das Warburger Unternehmen Brauns-Heitmann. Die Zeit bleibt nicht stehen. Auch wenn das Christkind noch gar nicht da war, muss schon an den Osterhasen gedacht werden.

Mit Freude bei der Arbeit

Vielleicht ist dann, wenn er kommt, schon ein Stück Normalität in die Werkstätten Am Grünenberg zurückgekehrt. Das hoffen die Beschäftigten, die sich geduldig an die Corona-Regeln halten. Die Freude, mit der sie morgens um 7.45 Uhr zur Arbeit kommen, haben sie nicht verloren. In diesem großen Betrieb mit seinen vielen Abteilungen „hat jede und jeder seinen Platz und wird individuell begleitet“, sagt Christa Handloser. Dieser gute Geist trägt die große Gemeinschaft auch durch die Krise.

Die Lebenshilfe im Kreis Höxter hat 2017 ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert. 1967 als Verein gegründet, sorgten Eltern und Angehörige von Menschen mit geistigen Behinderungen für spezielle Angebote. Damals gab es noch keine Schulpflicht für Kinder mit geistiger Behinderung und genauso wenig ein Angebot für erwachsene behinderte Menschen.

1974 gründete die Lebenshilfe in einer kleinen, angemieteten Firma in Siddessen die erste Werkstatt für behinderte Menschen im Kreis Höxter.

Nach einer Verlagerung des Betriebs nach Peckelsheim wurde 1983 der erste Bauabschnitt der heutigen Werkstätten Am Grünenberg fertiggestellt und bot damals Arbeit und Teilhabe für 110 Menschen mit geistiger Behinderung. Die Nachfrage war sehr groß, sodass die Werkstatt zehn Jahre später, nach einem weiteren großen Anbau, bereits 220 Beschäftigte fassen konnte. 1991 kam dann noch eine neue Abteilung für zunächst 60 Menschen mit psychischen Behinderungen, die Rekon in Brakel, hinzu.

Ende der 1990er konnte die Werkstatt einen großen Industriebau Am Lintrott in Ottbergen erwerben, sodass heute in beiden Werkstätten gemeinsam etwa 500 Menschen mit geistigen und seelischen Behinderungen ihre Teilhabe am Arbeitsleben und in der Gemeinschaft finden.

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