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WESTFALEN-BLATT-Adventskalender zeigt die Fütterung der Wisente aus Hardehausen – mit Video

Im Stall der sanften Riesen

Warburg

Als Falk Röling und Dorothee Maier um 8 Uhr morgens das Essen vorbereiten, scharren die Gäste schon mit den Hufen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn das Frühstück ist die wichtigste (weil einzige) tägliche Fütterung der Wisente aus dem Gehege Hardehausen.

Daniel Lüns

Etwa 600 Kilo (Kühe) bis 1000 Kilo (Bullen) kann ein Wisent schwer werden. Die sanften Riesen flößen Respekt ein. Foto: Daniel Lüns

Passend zum Heiligabend blicken wir mit unserem Adventskalender in den Stall der Tiere. Wenige Zentimeter dicke Holzbretter trennen den Forstwirt und die Bundesfreiwilligendienstleistende dort von den scheinbar sanften Riesen.

Auch wenn die 23 Tiere der Herde – darunter zehn Kälber, die 2020 geboren wurden – friedlich und geduldig vor dem Stall auf ihr Futter warten, so sind und bleiben Wisente gewaltige Tiere: Bis zu einer Widerristhöhe (das ist der bullige Nacken) von 1,90 Meter und drei Meter lang kann ein Wisent groß werden. Und wenn etwa 600 Kilo (Kühe) bis 1000 Kilo (Bullen) Lebendgewicht fast neben einem stehen, flößt das Respekt ein.

Im Stall, also aus nächster Nähe, werden diese Dimensionen umso deutlicher. Aber Röling und auch Maier bleiben cool, auch wenn die Giganten nebenan schon so kräftig ausatmen, dass bei der Kälte weißer Dampf aus den riesigen Nüstern strömt.

Trog für Trog füllen die Fachleute mit einer speziellen Futtermischung, die aus Zuckerrübenschnitzeln, Mais und Hafer besteht. Riesen sind nämlich Vegetarier, den Finger sollte man aber dennoch nicht ins Gehege stecken. Womöglich würde der nämlich mit einer ihrer Leibspeisen verwechselt: Möhren.

Klar, dass Maier, die an diesem Morgen mit einem Eimer Karotten von Trog zu Trog geht, von den Wisenten besonders beäugt wird. Die Möhren sind es auch, die zuerst verputzt werden.

Ein, zwei Happen Futtermischung – dann ist erst einmal Pause. „Die machen den Trog selten sofort leer“, weiß Röling. Vielmehr ließen die Riesen es langsam angehen: Nach dem Futtern ruht sich die Herde auf der Weide aus, um die Mittagszeit kommen die Tiere oft, um sich noch einen Bissen zu genehmigen. Das gibt den Fachleuten Zeit für einen wichtigen Nebeneffekt der Fütterung: die Kontrolle.

Seit 27 Jahren kümmert sich Röling um die Wisente.

Zunächst kam der Forstwirt vor allem durch forstwirtschaftliche Tätigkeiten in Berührung mit den Tieren. Dazu gehörten etwa Arbeiten am Gatter. Im Laufe der Zeit kümmerte er sich immer mehr um die Riesen.

Mittlerweile entdeckt Röling bei den Fütterungen viel mehr als hungrige Wisente. Wie sehen die Tiere aus? Wie verhalten sie sich, haben sie vielleicht Krankheiten? Und sind sie überhaupt alle da? Diese Punkte gehen die Fachleute durch.

„Gerade wenn Nachwuchs ansteht, dann bleiben Kühe manchmal ein, zwei Tage im Wald“, erklärt Falk Röling. Schon das Fernbleiben von der Fütterung könne also ein Indiz sein.

An diesem Wintertag ist aber alles in Ordnung. Die Tiere verputzen auch ratzfatz das Mineralfutter, das die Helfer in die Tröge streuen.

Das dürfte vor allem die Bäume in der Umgebung freuen. Denn wenn ein Wisent Mangelerscheinungen hat, beginnt es damit, Bäume zu schälen. Die Stoffe unter der Rinde helfen den Tieren dabei, ihren Haushalt wieder auszugleichen. Das Füttern von Mineralfutter reduziert dieses Verhalten.

Pro Tag braucht ein Wisent etwa 40 bis 45 Kilo Nahrung. Die suchen sich die Tiere vor allem in der Natur: Gras, Kräuter, Pilze und Hölzer stehen auf dem Speiseplan. Das Team des Wisentgeheges Hardehausen stellt zudem das besagte Futter bereit, darüber hinaus auch Heu und Silage.

Alles wird speziell auf die Bedürfnisse der Riesen abgestimmt. Daher bitten die Fachleute die Besucher auch darum, die Wisente – und natürlich auch die anderen Tiere vor Ort – auf keinen Fall zu füttern. „Das kann die Tiere krank machen“, erklärt Röling.

In freier Wildbahn wird ein Wisent etwa 22 Jahre alt. Die älteste Kuh in Hardehausen feierte gar ihren 27. Geburtstag. Die ersten drei Wisente kamen 1958 nach Hardehausen.

Bis heute wurden vor Ort 222 Kälber geboren. Die Tiere aus dem Warburger Land erobern seitdem die Welt: Die weiteste Reise führte ein Wisent bisher in den Taman-Safari-Park in Indonesien. Warburger Wisente sind zudem in Europa zu finden, zum Beispiel in Schweden, Polen, Rumänien oder Österreich.

Das Abgeben und Tauschen von Tieren ist nötig: Das Wisent ist weiter vom Aussterben bedroht, erklärt Wisent-Förster Rainer Glunz. Weltweit gebe es nur etwa 8500 Tiere, davon 6200 in freier Wildbahn.

Durch den Verlust ihres Lebensraums und starke Bejagung verschwanden die Riesen beinahe völlig von der Erde. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die letzten wild lebenden Tiere getötet.

Alle Wisente, die heute leben, stammen von nur zwölf Tieren ab. Das macht den genetischen Flaschenhals sehr eng.

Durch ein ausgeklügeltes Tausch- und Zuchtsystem sollen Inzuchterscheinungen vermieden und neue Impulse für den Genpool gewonnen werden.

Zum Gelingen dieses Projektes trägt das Team des Wisentgeheges Hardehausen seit inzwischen mehr als 60 Jahren mit seiner Arbeit bei. Und die beginnt eben schon morgens beim Frühstück der sanften Riesen.

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