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Amokfahrt in den Rosenmontagsumzug in Volkmarsen jährt sich am 24. Februar

Zwischen Schockstarre und Corona

Warburg/Volkmarsen

Es sind schockierende Bilder, die sich nach der Amokfahrt in den Rosenmontagsumzug in Volkmarsen tief in das Gedächtnis vieler Menschen eingebrannt haben: Zwischen Steinweg und örtlichem Rewe-Markt liegen mindestens ein Dutzend Verletzte auf der Straße, zerborstene Bollerwagen und Kostümfetzen am Wegesrand sind Zeugnisse dieser Tat.

Ralf Benner

Mitarbeiter der Spurensicherung vor dem silbergrauen Mercedes, mit dem der Mann in die Menge fuhr Foto: Ralf Benner

Dutzende Krankenwagen, Polizei und Feuerwehr sind vor Ort, mehrere Rettungshubschrauber sind in der Luft. Rettungskräfte, teils selbst noch in Karnevalskostümen unter den Einsatzwesten, versorgen Verletzte, trösten Angehörige der Opfer. „Dieser Schrecken und dieses Grauen sind auch heute noch kaum zu begreifen“, sagt Warburgs Bürgermeister Tobias Scherf.

Der gebürtige Volkmarser hat vor knapp einem Jahr mit seinen vier Kindern (11, 13, 18 und 20 Jahre alt) an dem Umzug teilgenommen. „Nur zwei Wagengruppen vor uns ist es geschehen. Es hätte jeden treffen können“, erinnert sich Tobias Scherf.

Am 24. Februar 2020 umfährt gegen 14.40 Uhr ein silberner Mercedes-Kombi die Absperrung des Rosenmontagsumzuges und fährt beschleunigend in die Menschenmenge. Der Fahrer des Fahrzeugs ist der 29-jährige Maurice P., der noch am Ort von Zeugen überwältigt und anschließend von der Polizei festgenommen wird. P. stammt aus Volkmarsen.

„Es herrschten Schock und Fassungslosigkeit. Niemand wusste ja zunächst, was passiert war“, berichtet Scherf. Er sei damals in großer Sorge um seine Kinder gewesen sowie um Freunde und Verwandte, die ebenfalls beim Umzug dabei waren. Seine Kinder seien zum Glück weiter hinten im Zug bei den Garden mitgelaufen. „Es hat gedauert, bis ich Kontakt zu allen hatte und wir uns endlich wiedergesehen haben.“

Unter den insgesamt 154 Verletzten, die durch die Tat körperliche und seelische Schäden davontrugen, sind auch etliche Karnevalisten aus Warburg. Den närrischen Lindwurm der Volkmarsener Karnevalsgesellschaft 1937 verfolgen alljährlich bis zu 10.000 Besucher.

Zwischen dem Warburger Land und Volkmarsen gibt es traditionell enge Beziehungen. Den Rosenmontagsumzug besuchen stets auch viele Gäste aus den umliegenden Warburger Ortschaften und der Kernstadt.

Eine Abordnung der Volkmarsener Karnevalsgesellschaft (VKG), zu der auch Tobias Scherf gehörte, war noch am Morgen der Amokfahrt in Warburg zu Gast beim traditionellen Meisterfrühstück der Warburger Karnevalisten. Die Volkmarser verließen den Frühschoppen mit vielen guten Wünschen der Warburger Narren allerdings gegen Mittag, um am Rosenmontagsumzug teilnehmen zu können. „Hätte ich geahnt, was passieren würde, wären wir wohl besser in Warburg geblieben“, so Scherf.

Im Dezember vergangenen Jahres hat die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage gegen den Amokfahrer erhoben. Ihm wird versuchter Mord in 91 Fällen, gefährliche Körperverletzung in 90 Fällen sowie gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr vorgeworfen.

Dass der Täter noch immer zu den Motiven der Amokfahrt schweigt und kaum mit seinem Anwalt und der mit einem Gutachten beauftragten Psychologin kooperiert hat, belastet Opfer und Angehörige, weiß Scherf aus vielen Gesprächen, die er in den vergangenen Monaten geführt hat. „Für die Menschen, die tiefgreifendes Leid erfahren haben, ist das unerträglich“, berichtet der Bürgermeister.

Die Amokfahrt von Volkmarsen sei ein Trauma, ein Albtraum, den viele Menschen auch wegen der Corona-Pandemie bis heute nicht verarbeitet hätten. In einer Zeit, in der es nötig gewesen wäre, die Tat aufzuarbeiten, miteinander über die Geschehnisse zu sprechen und psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, habe es den ersten Lockdown gegeben, der viele Bemühungen in diese Richtung erschwert habe. Nach der Amokfahrt beim Umzug habe sich aber auch gezeigt: Volkmarsen hält zusammen. „Wir lassen uns unser Leben und unsere Gemeinschaft dadurch nicht nehmen“, bekräftigt Scherf.

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