Das Friedrich-Winter-Haus in Extertal ist eines der ersten in Deutschland, in dem Sonntag Corona-Impfungen angeboten werden sollen
Nicht alle wollen sich am Sonntag impfen lassen
Extertal (WB)
Nicht jeder hier im Altenheim möchte gegen das Corona-Virus geimpft werden. „Wissen Sie, junger Mann“, sagt Elisabeth Werpup, die mit langsamen Schritten ihren Rollator über den Flur schiebt und kurz stoppt: „Ich bin jetzt 97 Jahre alt, und habe noch nie in meinem Leben eine Impfung bekommen. Dabei soll es bleiben.“
Das Friedrich-Winter-Haus im lippischen Extertal ist eines von 18 Alten- und Pflegeheimen, die in Ostwestfalen-Lippe von der Arbeiter-Wohlfahrt betrieben werden. Und es ist das einzige AWO-Haus, das am Sonntag beim Beginn der bundesweiten Corona-Impfungen dabei sein soll. „Warum ausgerechnet wir – das weiß ich auch nicht“, sagt Heimleiterin Kerstin Göhmann. Am Donnerstag hatte sie einen Anruf des Impfzentrums Lippe bekommen mit dem Auftrag, sich auf die Impfungen vorzubereiten.
Die ersten Impfdosen des Herstellers Biontech-Pfizer werden am zweiten Weihnachtstag in Nordrhein-Westfalen erwartet und dann verteilt. 180 sind für den Kreis Lippe vorgesehen, ein Teil wird ins Friedrich-Winter-Haus gebracht. Der Stoff kommt als gekühltes Pulver an und kann dann, so hat man es Kerstin Göhmann am Telefon gesagt, bis zu fünf Tage in einem normalen Kühlschrank aufbewahrt werden. Aber das ist nicht vorgesehen. Noch am Sonntag wollen die örtlichen Hausärzte Christian Zuleger und Dr. Philipp Röntgen, die den Bewohnern vertraut sind, das Pulver mit Kochsalzlösung ansetzen und die Bewohner impfen.
66 Frauen und Männer leben in dem lippischen Altenheim – einige in ihrem eigenen kleinen Appartement, andere sind Schwerstpflegefälle oder dement. Den vierten Advent hatte Heimleiterin Kerstin Göhmann damit verbracht, für jeden Bewohner einen Anamnesebogen mit seinen Vorerkrankungen auszufüllen und die Familien jener 20 Menschen anzurufen, die nicht mehr selbst entscheiden können. „Wir dürfen ja nur impfen, wenn wir die Zustimmung schriftlich haben“, sagt die Heimleiterin Diese Formulare und die Anamnesebögen bekommen die Hausärzte am Sonntag vorgelegt, bevor es losgeht.
Das Friedrich-Winter-Haus ist eine der wenigen Pflegeeinrichtungen, die bis heute von Corona verschont geblieben sind. Zum einen gebe es in der Gemeinde Extertal ohnehin nur sehr wenige Infizierte, sagt die Heimleiterin. „Zum anderen machen aber auch die Angehörigen bei uns super mit. Die halten sich an alle Vorschriften. Da wird nicht diskutiert, wie man es aus anderen Häusern hört.“
105 Pflegerinnen und Pfleger arbeiten in dieser Einrichtung. Sie sollen in einem zweiten Rutsch am Montag geimpft werden – wenn sie das denn möchten. Es gibt noch viele Fragen, und deshalb ist Dr. Peter Hoffmanns am Montag vorbeigekommen. Der Arzt aus Extertal ist seit einem Jahr im Ruhestand, aber er kümmert sich seit Wochen ehrenamtlich um die Corona-Schnelltests in dem Altenheim. „Meine Mutter ist hier sechs Jahre lang betreut worden. Da möchte ich etwas zurückgeben.“ Der Arzt engagiert sich auch an anderer Stelle ehrenamtlich: Zusammen mit seiner Frau Gisela unterstützt er eine Schule in Kenia, und an die Menschen dort weitab der großen Städte muss er in diesen Tagen oft denken: „Wie sollen die an einen Impfstoff kommen, wenn der tiefgekühlt transportiert werden muss?“ Das sei unmöglich, sagt der Arzt. „Ihre Hoffnung ist deshalb ein Impfstoff, der nicht so temperaturempfindlich ist.“
Etwa 40 Mitarbeiter des Altenheims sind zu der Informationsveranstaltung mit Dr. Hoffmanns gekommen. Er wirbt eindringlich dafür, sich impfen zu lassen, „um diese Geißel der Menschheit auszurotten“, wie er sagt. Befürchtungen, der Impfstoff könne das Erbgut verändern, seien „völliger Quatsch“. Aber Hoffmanns nennt auch Risiken. „Niemand kann heute etwas zu möglichen Spätfolgen sagen, weil uns naturgemäß die Erfahrung fehlt.“ Als unmittelbare Reaktionen auf die Impfung berichteten bis zu 83 Prozent von Schmerzen an der Einstichstelle und sehr wenige von leichtem Fieber, sagt er. Doch nach der obligatorischen zweiten Impfung drei Wochen später seien stärkere Nebenwirkungen möglich: „Bisher sind höheres Fieber, Gliederschmerzen, Durchfall und Schwindel bekannt. Die Symptome hielten bei den Betroffenen etwa einen Tag an.“
In drei bekanntgewordenen Fällen aus Alaska und Großbritannien hätten Menschen starke allergische Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock gehabt. „Das waren Patienten, die so allergisch waren, dass sie immer ein Notmedikament gegen Bienenstiche bei sich tragen. Solche Allergiker sollten gut abwägen, ob sie sich impfen lassen.“ Auch Krebspatienten, deren Immunabwehr in der Therapie heruntergefahren sei, sollten Nutzen und Risiko gut abwägen, rät Dr. Hoffmanns.
„Letztlich muss jeder die Impfentscheidung selbst treffen“, sagt er. So wie es Elisabeth Werpup getan hat. Sie und zwei weitere Heimbewohner wollen Sonntag nur zusehen. Die 97-Jährige kennt sich aus: „Im Krieg war ich Krankenschwester!“
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