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Corona: Heimbewohner aus Extertal im Kreis Lippe gehören zu den ersten Geimpften in Deutschland

Perfekte Premiere

Extertal (WB)

Der Kühltransporter der Spedition Kühne & Nagel stoppt gegen 7.40 Uhr vor dem Altenheim in Extertal. Kerstin Göhmann, die Leiterin des Friedrich-Winter-Seniorenzentrums, nimmt den Impfstoff entgegen – eine Styroporkiste mit zwölf tiefgekühlten Ampullen für jeweils fünf Impfdosen.

Christian Althoff

Die Medizinische Fachangestellte Michelle Priefer zieht eine Spritze mit Impfstoff auf. Foto: Christian Althoff

Das AWO-Heim gehört zu den ersten in Deutschland, in denen sich alte Menschen gegen das Corona-Virus impfen lassen können. Wie jeder Kreis in NRW hat auch Lippe zunächst nur 180 Impfdosen bekommen, die am Sonntag an drei Heime verteilt werden. „Gut, dass es endlich einen Impfstoff gibt“, sagt AWO-Vorstand Thorsten Klute, der sich einen Eindruck vor Ort verschafft. Acht Seniorenheime hat die AWO in Ostwestfalen-Lippe, und nicht überall ist die Lage so entspannt wie in Extertal. „In unserem Bielefelder Wilhelm-Augusta-Stift sind gerade 40 Menschen infiziert“, sagt Klute.

Arzt Florian Bader und Heimmitarbeiterin Sibylle Berger impfen Walter Korbach. Foto: Christian Althoff

Es ist noch dunkel, als die Extertaler Hausärzte Florian Bader und Christian Zuleger mit ihren Medizinischen Fachangestellten Michelle Priefer und Sabrina Schröder eintreffen. Die Heimleiterin hat den Impfstoff in der Teeküche in einen Kühlschrank gestellt, den sie vorsichtshalber desinfiziert hat. Die Helferinnen ziehen sich Schutzkleidung an und richten sich in der engen Küche ein. Seit Tagen wissen sie, was zu tun ist. Sabrina Schröder: „Die Ampullen mit dem Konzentrat müssen 30 Minuten bei Zimmertemperatur auftauen. Dann muss jede zehn Mal langsam geschwenkt werden. Danach wird die Membran desinfiziert, und nach einer Wartezeit geben wir Kochsalzlösung in die Ampulle. Jetzt muss sie wieder zehn Mal geschwenkt werden, und dann können wir die Spritzen aufziehen.“

Im Raum nebenan, der sonst dem AWO-Seniorenkreis für Treffen dient, stehen die Ärzte bereit. Ein alter Mensch nach dem anderen wird von Betreuungskräften und Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes hereingeführt. 60 der 63 Bewohner haben sich in den letzten Tagen entschieden, sich impfen zu lassen. Christian Zuleger kennt ihre Krankenakten und erkundigt sich bei jedem, wie es ihm heute geht. Walter Korbach ist einer von ihnen. „Ich bin 90. Natürlich mache ich mit!“, sagt er.

Um 11.50 Uhr sind alle, die das wollen, geimpft – fast alle. Die Ärzte haben drei Bewohnerinnen geraten, auf die Spritze zu verzichten. In einem Fall lag eine Grippeschutzimpfung erst ein paar Tage zurück, in einem anderen sind zu viele Allergien bekannt.

Damit kein Impfstoff verkommt, werden die restlichen Dosen einigen Heimmitarbeiterinnen gespritzt. Auch Helma Rüger, die als Betreuungskraft im Heinrich-Winter-Haus arbeitet, möchte das nutzen. Sie erzählt Christian Zuleger von ihrer Hausstaub-Allergie, aber der Arzt beruhigt sie: „Solche einfachen Allergien sind kein Problem.“ Und so lässt sich die Frau die Spritze in den Oberarm geben. Danach muss sie wie alle anderen Geimpften in den Festsaal des Altenheims, wo sie 30 Minuten unter Kon­trolle bleiben wird. „Wir haben alles dabei, um bei einer heftigen Reaktion einzugreifen, aber dazu wird es bestimmt nicht kommen“, sagt Florian Bader. Er wird Recht behalten.

Beide Ärzte loben die gute Vorbereitung der Impfaktion durch die Heimleitung. „Die Bewohner mussten umfassend aufgeklärt werden, und für viele musste die Zustimmung ihres Betreuers eingeholt werden. Das hat alles bestens geklappt“, sagt Christian Zuleger und füllt den letzten Impfausweis aus.

Zufrieden ist auch Dr. Ludger Böhlen, der auf einen Sprung vorbeischaut. Der Arzt im Ruhestand gehört zur Leitung des Impfzentrums Lippe in der Lemgoer Phoenix-Contact-Arena, in der demnächst Menschen geimpft werden sollen. Und er ist an der Organisation der Impfungen in Altenheimen beteiligt. „Hier im Friedrich-Winter-Haus wollen sich etwa 60 Prozent der Mitarbeiterinnen impfen lassen, was ich sehr begrüße. Leider ist das nicht überall so“, sagt der Arzt. Es gebe Altenheime in Lippe, in denen die Impfquote der Mitarbeiter wohl nur 30, 40 Prozent betragen werde. „Wir wissen noch nicht, ob das mit bestimmten Glaubensgemeinschaften zusammenhängt oder was die Ängste sind“, sagt Böhlen. Er werde deshalb am Montag alle Heime anschreiben und auf mögliche Bedenken eingehen.

Die Impfungen in Extertal – sie sind nur die Premiere, der Auftakt. Alleine im Kreis Lippe warten Menschen in etwa 100 Alten- und Behinderteneinrichtungen auf den Impfstoff.

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