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Eine Chronik der Ermittlungen und Pannen

So lief das im Fall Lügde

Lügde

Tatort Campingplatz: Ein vertraulicher Bericht aus dem NRW-Innenministerium gibt Einblick in das Ermittlungsverfahren um den mutmaßlich tausendfachen Missbrauch von mindestens 31 Mädchen und Jungen.

Jens Ruzsitska (56) aus Bad Pyrmont, alleinerziehender Vater zweier Töchter, schlug im August 2016 Alarm, weil Andreas V. kleine Mädchen unsittlich angefasst und sich in obszöner Weise über sie geäußert haben soll. Doch niemand hörte auf ihn. Foto: Christian Althoff

Erste Opfer melden sich

Am 20. Oktober 2018 erstattet eine Mutter mit ihrer Tochter (9) Anzeige gegen den Dauercamper Andreas V. (56). Es geht um zwei Fälle von Missbrauch im Sommer 2018. Vier Wochen später zeigt eine 18-Jährige den Mann wegen weiter zurückliegender Taten an.

Couch mit Kamera

Am 6. Dezember wird Andreas V. festgenommen. Seine Pflegetochter kommt in eine andere Familie. Zu den Vorwürfen schweigt der Mann. In seinem Wohnwagen und seiner Wohnung finden Polizisten 100 DVDs mit Kinderpornos und ein Stativ, das auf eine Couch ausgerichtet ist.

Der zweite Mann

Bei der Auswertung von Handys und Computern finden Polizisten einen Mailkontakt zu einem Mann aus Stade. Am 18. Dezember sagt eine 18-Jährige aus, sie sei als Kind von Andreas V. mehrfach schwer missbraucht worden, und der Mann aus Stade habe per Videochat zugesehen. Polizisten durchsuchen dessen Wohnung und stellen Datenträger mit Kinderpornografie sicher. Am 10. Januar geht der 46-Jährige in U-Haft. Er gibt zu, im Livechat beim Kindesmissbrauch zugesehen zu haben.

Der dritte Mann

Im Januar gibt die acht Jahre alte Pflegetochter von Andreas V. sinngemäß an, ihr Pflegevater habe von ihr verlangt, sexuelle Handlungen an einem anderen Camper vorzunehmen – Mario S. (33) aus Steinheim. Er wird am 11. Januar in Untersuchungshaft genommen. In seiner Wohnung werden Kinderpornos entdeckt.

Früher Hinweis

Die Kripo stockt die Ermittlungskommission immer weiter auf. Sie erfährt, dass es schon im August 2016 Hinweise auf Andreas V. gab. So soll er zu einem Familienvater aus Bad Pyrmont unter anderem gesagt haben, er finde es schön, kleine Mädchen in Röcken auf der Schulter zu tragen, wenn sie schwitzten. Kinderschutzbund, Polizei und Jugendamt werden einschaltet. Der Polizist in Blomberg ermittelt aber nicht, er legt nicht einmal einen Vorgang an – der Name Andreas V. wird nicht im Polizeicomputer gespeichert.

Kind eingeschüchtert

Im November 2016 meldet sich eine Mitarbeiterin des Jobcenters Blomberg bei der Polizei. Andreas V. soll dort über seine Pflegetochter gesagt haben, er habe das Mädchen im Alter von neun Monaten von der Mutter »geschenkt« bekommen. Aus Langeweile habe er es zu sich genommen. Über die damals Fünfjährige soll er gesagt haben: »Erst macht sie mich heiß und will kuscheln und dann wieder nicht. Frauen sind komisch.« Er soll außerdem gesagt habe, er habe das Mädchen so eingeschüchtert, dass es beim einzigen Besuch des Jugendamts im Juni 2016 nichts gesagt habe. Trotz der Anzeige aus dem Jobcenter sieht das Jugendamt Lippe keinen Grund zum Eingreifen. Die Kripo befragt den Verdächtigen nicht einmal und schließt die Akte.

Akten sichergestellt

Im Dezember 2018 stellt die Ermittlungskommission Akten bei Jugendämtern und der Polizei sicher. Die Staatsanwaltschaft Detmold leitet Ermittlungsverfahren gegen zwei Polizisten und mehrere Jugendamtsmitarbeiter ein. Die Behördenpannen sind vor allem deshalb tragisch, weil ein großer Teil der Verbrechen 2017 passierte – nach den Hinweisen.

Auswertung

Von den 14 Terabyte Daten, die bei den drei beschuldigten Männern gefunden wurden (umgerechnet in JPEG-Fotos wären das 28 Millionen Stück), hält die Bielefelder Polizei inzwischen nur noch vier Terabyte für relevant. Die Auswertung wird noch dauern. Es wurden aber bereits Dateien gefunden, die den Missbrauch der Pflegetochter durch den Hauptbeschuldigten zeigen sollen. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul nimmt den Missbrauchsfall zum Anlass, um die Polizei Bielefeld mit Computern und Auswerte-Software aufzurüsten. »Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Anschaffung bisher unterblieben ist«, sagt der Minister.

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