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Miserables Zeugnis für Behörden im Fall des vielfachen Kindesmissbrauchs auf dem Campingplatz

Lügde: Ausschuss sieht gravierende Versäumnisse

Lügde

Jugendämter und Polizei haben im Fall des vielfachen Kindesmissbrauchs auf dem Campingplatz von Lüdge (Kreis Lippe) offenbar gravierende Fehler und Versäumnisse begangen. Zu diesem Ergebnis kommt der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags nach fast dreijähriger Arbeit.

Von epd und dpa

Entwurf des Zwischenberichtes des Untersuchungsausschuss IV "Kindesmissbrauch" liegt auf einem Tisch. Foto: Federico Gambarini/dpa

„Selten hat der Staat bei der Wahrnehmung eines Verfassungsauftrags so versagt wie im Fall der Kinder von Lügde“, heißt es im Vorwort des Zwischenberichts des Ausschusses.

Auf mehr als 3000 Seiten stellt  der Bericht den Behörden ein miserables Zeugnis aus. „Die Summe der Fehlerketten ist erdrückend“, sagte der Ausschussvorsitzende Martin Börschel (SPD) dem Magazin "Der Spiegel". Der CDU-Obmann Dietmar Panske erklärte: „Schon 2016 hätte der Missbrauch auf dem Campingplatz beendet werden können, damals lagen hinreichende Informationen für ein Eingreifen der Behörden vor.“

Im Bericht ist von nachlässig geführten Akten die Rede, von Hinweisen auf sexuellen Missbrauch, denen nie ausreichend nachgegangen wurde. Zitiert werden Jugendamtsmitarbeiterinnen, die offenbar nicht wussten, wie es den Kindern geht, um die sie sich kümmern sollten. Nach Auffassung von Börschel gab es beispielsweise einen falsch verstanden Datenschutz: «Der Kinderschutz rückte nach hinten. Das ist ein Fehler», sagte der Vorsitzende am Freitag nach Übergabe und nannte ein Beispiel. «Viele Erkenntnissen lagen an verschiedenen Stellen zu einem Opfer vor. Wenn sich alle Beteiligten einmal zusammengesessen hätten, wäre das Leiden sofort beendet gewesen. Aber die Mitarbeiter in den Jugendämtern dachten, sie dürften nicht miteinander reden. Das ist schlecht für Kinderschutz - und das unter dem Deckmantel eines korrekt angewandten Datenschutzes.»

Den Ermittlungsbehörden in Lippe werfen die Landtagsabgeordneten „schlechte Polizeiarbeit“ und „allgemeine Nachlässigkeit“ vor. Demnach wurden etwa Hinweise nicht ins elektronische Meldesystem der Polizei eingespeist, sie verschwanden aus ungeklärten Gründen auf dem Postweg oder landeten in der Ablage, zitiert der „Spiegel“ aus dem Bericht.

120 Zeugenvernehmungen

Er enthält Empfehlungen für strengere Vorgaben an Jugendämter, Vorschläge für Gesetzesänderungen und Handreichungen für die Polizeiarbeit. Laut Börschel hat das Gremium in den vergangen drei Jahren mehr als 120 Zeugenvernehmungen durchgeführt und über 20 Sachverständige gehört.

Laut den Handlungsempfehlungen, die jetzt abschließend von den Ausschussmitgliedern verabschiedet werden müssen, fehlt es an einer grundlegenden Schulung der Mitarbeiter in den Jugendämtern, um Hinweise auf sexuellen Missbrauch zu erkennen. Bei der Polizei müsse zumindest politisch überlegt werden, ob die Landräte in den Landkreisen in NRW auch gleichzeitig Chefs der Polizei sein sollten.

CDU und FDP betonten in einer Stellungnahme, dass der Untersuchungsausschuss erhebliche Mängel bei den Jugendämtern aufgedeckt habe. Der Missbrauch hätte bereits zweieinhalb Jahre vor der Inhaftierung des Haupttäters 2016 beendet werden können.

Im März im Landtag

Am Freitag legte Börschel den Zwischenbericht dem Ausschuss zur abschließenden Beratung dem NRW-Landtag vor. Damit er im März mit Handlungsempfehlungen ins Plenum geht, müssen sich jetzt zwei Drittel der Abgeordneten den Vorschlägen zustimmen. Nach der Landtagswahl im Mai soll ein neuer Untersuchungsausschuss die Arbeit fortsetzen.

Der Missbrauchsfall von Lügde gilt als besonders schwerer Fall von Kindesmissbrauch sowie der Produktion und Verbreitung von Kinderpornografie. Tatort war ein Campingplatz an der Grenze zu Niedersachsen. Die Staatsanwaltschaft Detmold geht von 1000 Einzeltaten in einem Zeitraum von rund zehn Jahren aus. Die beiden Haupttäter wurden 2019 zu 13 Jahren und 12 Jahren Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

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