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Jahrhundertflut im Februar 1946 traf Bad Lippspringe und Schlangen mit voller Wucht

Leben wie auf einer Insel

Schlangen

Der extreme Wintereinbruch Anfang Februar hat bei den älteren Schlänger Bürgerinnen und Bürgern die Erinnerung an eine fast vergessene Naturkatastrophe geweckt: die Jahrhundertflut vor genau 75 Jahren. Innerhalb von nur wenigen Stunden standen Keller, Straßen und Plätze komplett unter Wasser.

Klaus Karenfeld

Auch Bad Lippspringe blieb von der Jahrhundertflut im Februar 1946 nicht verschont. Die Aufnahme entstand am Eingang zum Arminius­park. Ein britischer Soldat der Hauptwache überprüft wohl den Wasserstand.

Der erste Nachkriegswinter 1945/46 war zunächst bitterkalt gewesen – erinnern sich Zeitzeugen noch heute sehr gut. Ende Januar setzte dann ergiebiger Landregen ein, der an Intensität mehr und mehr zunahm. Kleine Bäche verwandelten sich in kürzester Zeit in reißende Ströme. Ihre größte Stärke erreichten die Niederschläge in einem Gebiet, das sich von den Niederlanden bis in die Münstersche Bucht erstreckte. Für die eigentliche Hochwasserkatastrophe sorgte die dritte große Regenwelle, die Schlangen im Februar 1946 mit voller Wucht erreichte.

Erste Hinweise auf die Jahrhundertflut finden sich in den Aufzeichnungen der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr. Dort heißt es unter dem Datum 8. Februar 1946 kurz und knapp: „Von 20 Uhr bis 23 Uhr Verkehrsregelung wegen Hochwasser, 8 Männer im Einsatz.“ Am Morgen des 9. Februar scheint sich die Situation deutlich verschärft zu haben. Jetzt sind bereits 22 Feuerwehrmänner damit beschäftigt, zahlreiche Keller auszupumpen. Schwierigkeiten tauchen auf, als die Motorspritze mehrmals versagt.

Ein wichtiger Zeitzeuge der damaligen Ereignisse war Wilhelm Sibille (1904 - 1982). Mit ihm führte der langjährige Lokalhistoriker Heinz Wiemann 1980 ein ausführliches Gespräch. Sibille zählte 1946 auch zu den Einsatzkräften der örtlichen Feuerwehr. Von ihm bekam Wiemann erste umfassende Informationen.

„Als ich in meinem elterlichen Haus, dem Gasthof Sibille, ankam, meinte meine Mutter, es könne nichts passieren. In den Kellern sei schon alles auf Tischen hochgestellt. Wir sorgten dann aber dafür, dass alles schnellstens aus den Kellern heraus nach oben kam. Die Kellerräume liefen voll mit Wasser bis unter die Decke. Das Wasser floss ebenfalls in die Schweineställe. Der Verwalter Wohlfahrt kümmerte sich darum, dass die Tiere auf die höher gelegene Deele ins Trockene kamen.“

Das Hochwasser im Schlänger Ortskern vor dem Gasthof Sibille. Foto: Archiv

Sibille berichtete weiter: „Die großen Keller des Gasthofes Koch waren auch voller Wasser. Wir von der Feuerwehr pumpten das Wasser aus den Kellern Koch, Sibille und Heuwinkel. Bei Kochs dauerte es am längsten. Eine Flüchtlingsfrau hatte hier Eier im Keller aufbewahrt, denen sie nun nachtrauerte. Wir hatten die Schlauchleitung bis zum Geschäft Brenker gelegt, damit das Wasser nicht wieder in die Keller zurückfließen konnte. Ein Feuerwehrmann hat der Frau gesagt, sie solle zum Ende des Schlauches gehen, die Eier kämen dort heraus.“

Der Schlänger Gustav Wießbrock (1909-1982) gab Wiemann am 4. Januar 1981 ein letztes Interview: „Bei uns strömte das Wasser vorn an der Bergstraße in das Kellerfenster hinein und hinten aus der Tür wieder heraus. Unsere Vorräte schwammen in der Pastorenwiese. Das Wasser hatte sich so etwa einen Meter tief in die Bergstraße hinein gegraben und den Beton eines Strommastes an Fleegen Mauer ziemlich frei gespült, so dass der Mast bedenklich wackelte.“

Elisabeth Ostmann, geb. Heuwinkel, berichtete dem Schlänger Lokalhistoriker am 6. Januar 1996 Folgendes: „Als das Wasser kam, haben wir in aller Eile die Eisentore vor unserem Hof geschlossen und Mist davor gepackt. Ein Feuerwehrmann hat dann diesen Damm geöffnet. Das Wasser strömte auf den Hof. Im Nu stand die Mistgrube voll. Die Schweine, die hier einen überdachten Aufenthaltsort hatten, haben wir rechtzeitig in den Stall befördern können. Das Wasser lief zwischen einem alten Fachwerkhaus und dem Kohlenlager hindurch in Wiese und Garten. Hier wühlte es sich ein Bachbett. Der Keller unseres Wohnhauses lief bis zur Fensterhöhe voll. Die frischen Brote schwammen auf dem Wasser. Wir wohnten wie auf einer Insel.“

Richard Mötz (1910-1993) erinnerte sich an die dramatischen Stunden so: „Der Tag, an dem die Überschwemmung kam, war ein Freitag. Am Abend veranstalteten die englischen Soldaten im Saal Sibille einen der bekannten Tanzabende. Sehr erwünscht war der Besuch junger Schlänger Frauen. Und viele gingen auch hin. Am Schluss des Tanzabends stand das Wasser vor dem Gasthaus Sibille 30 bis 40 Zentimeter hoch. Die Briten erwiesen sich als Kavaliere. Sie trugen ihre Tanzdamen huckepack aufs Trockene.“

Das Hochwasser zog sich in den folgenden Tagen nur langsam zurück. Berge von Schlamm und Dreck blieben. Die Aufräumarbeiten dauerten Wiemann zufolge bis in den März 1946 hinein.

Weitergehende Informationen von Heinz Wiemann sind unter www.schlaenger-geschichte.de zu finden.

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