Anna Katharina Bölling ist seit drei Monaten Landrätin von Minden-Lübbecke und vor allem Krisenmanagerin
Corona sitzt immer mit am Tisch
Minden/Lübbecke
Schon der erste Arbeitstag hat der neuen Landrätin gezeigt, was da auf sie zukommt.
„Der 1. November war ein Sonntag. Und gleich um 10 Uhr gab es eine Videokonferenz mit dem Corona-Krisenstab“, erinnert sich Anna Katharina Bölling an ihren „Einstand“. Von Anfang an bestimmte die Pandemie den Alltag der 40-jährigen Christdemokratin im Kreishaus. Wobei: Alltag ist das falsche Wort für die vielen langen Tage, schweren Entscheidungen und kurzfristigen Planänderungen in dieser Zeit. Ein Zwischenstopp nach fast 100 Tagen im Amt.
„Das war schon eine fordernde Situation, ein Kraftakt“, bekennt Anna Katharina Bölling und lächelt dann doch beim Gespräch per Video-Schalte: „Aber ich bin ja Sportlerin.“ Nach ihrem überraschenden, zumindest überraschend deutlichen Wahlsieg im September erlebte die bisherige Sozial- und Gesundheitsdezernentin beim Kreis Uelzen noch „von außen“ mit, wie sich die Corona-Lage im Mühlenkreis zuspitzte. Ende Oktober stieg der Wocheninzidenzwert von 80 auf 94, es häuften sich Ausbrüche an Schulen, 24 Covid-Patienten wurden stationär behandelt und es gab 17 Todesfälle. „Nur“ würde die Landrätin heute bestimmt anfügen. Jetzt gibt es 190 Tote und eine Inzidenz von unter 150 ist schon ein Erfolg.
Anna Katharina Bölling
Die Mindenerin musste sich nach ihrem Amtsantritt im November rasch einfinden in die Arbeits- und Entscheidungsstrukturen im Kreishaus, die handelnden Personen auf den verschiedenen politischen Ebenen kennenlernen und den eigenen Anspruch, sich bei den Mitarbeitern in der großen Minden-Lübbecker Verwaltung persönlich vorzustellen, hintenan stellen. „Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, sagt sie und hofft, die geplanten Stippvisiten in den einzelnen Abteilungen im Sommer nachholen zu können. „Ich halte das für notwendig. Ich will ja nah an den Bedürfnissen der Mitarbeiter sein“, sagt Bölling. Und auch nah bei den Bürgern: Im Februar soll es wieder eine Bürgersprechstunde am Telefon geben, sagt Anna Bölling.
Es waren schwere Entscheidungen zu treffen in den ersten Monaten ihrer Amtszeit: etwa als Espelkamp an der 600-er-Inzidenz kratzte oder in Hüllhorst die Gefahr eines Massenausbruchs an der Gesamtschule bestand, dann die vielen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Der Kreis ordnete Massentestsan, verhängte Ausgangssperrenoder zeitweilige Gottesdienstverbote. „Es ist für mich ein ständiges Abwägen, was ich den Menschen zumuten kann. Dazu gibt es Druck von den anderen politischen Ebenen oder der Öffentlichkeit“, sagt die 40-Jährige. Bei allen anderen wichtigen Themen, die anstanden, war und ist Corona immer das „Grundrauschen“, das der Landrätin 12- bis 14-Stunden-Tage beschert und den Tagesablauf immer durcheinander bringen kann. „In der Weihnachtszeit musste ich fast jeden Termin vorzeitig verlassen, weil irgendetwas war“, erinnert sie sich. Wichtige Kraftquelle für die junge Mutter Anna Bölling: „Ich nehme mir heraus, über Mittag immer nach Hause zu gehen.“
Woher die hohen Zahlen im Mühlenkreis kommen – im niedersächsischen Umfeld sieht es fast überall besser aus? Diese Frage beantwortet die Landrätin nur vorsichtig, wenn auch mit dem deutlichen Verweis darauf, dass man sich in erster Linie auf den Kreis selbst und NRW konzentriere, wo vergleichbare Regelungen gelten. Im Mühlenkreis sei die Situation speziell durch die Mischung aus ländlichen und städtischen Räumen und den großen Familienverbänden, die es in beiden Bereichen gebe. „Unsere Infektions- und Quarantänelisten zeigen, dass große Familien überproportional betroffen sind“, sagt Bölling.
Die Überlastung des Kreisgesundheitsamtes lässt derzeit etwas nach. Dennoch: Die Mehrarbeit, in diesen Tagen auch noch ein neues Meldesystem einzuführen, wollte sie ihren Mitarbeitern nicht zumuten. „Wir haben ja ein bewährtes System. Die Mär, das Gesundheitsamt arbeite sozusagen noch analog, stimmt einfach nicht“, sagt Bölling. Wenn das Land auf die Software setze, die bislang nur fünf Gesundheitsämter in NRW nutzten, dann sollte es eine Schnittstelle geben, die die Daten überführt, so ihre Auffassung.
Ebenfalls als in Teilen ungerecht bewertet Anna Bölling die Kritik am Impfstart: „Niemand hat Erfahrung damit, eine Bevölkerung von dieser Größe durchzuimpfen.“ Und mit dem, wie die Menschen in den Heimen geimpft werden, sei sie zufrieden. Was sie aber bemängelt, ist die Kommunikation: „Es sind schon vor Weihnachten große Hoffnungen auf das Impfen geweckt worden. Wir waren alle in der Annahme, im Januar das Impfzentrum öffnen zu können.“ Aber die Impfstoffmenge sei einfach nicht ausreichend.
Corona macht das Thema medizinische Versorgung für Bölling noch drängender. Die ökonomischen Folgen für die Mühlenkreiskliniken seien noch nicht klar. Es gelte, deren Zukunft auch als Universitätsstandort zu sichern, sagt sie. Zudem müsse bei der Digitalisierung Gas gegeben und auf die Kinder geschaut werden. „Die gehören für mich zu den größten Leidtragenden der Corona-Krise.“
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