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NRW-Gesundheitsausschuss informiert sich über Ermittlungen gegen den Wittekindshof Bad Oeynhausen

Misshandlungen Thema im Landtag

Bad Oeynhausen (WB)

Der Gesundheitsausschuss des Landtags hat sich am Mittwochabend in Düsseldorf mit den Vorgängen im Wittekindshof Bad Oeynhausen befasst. Udo Diel, Abteilungsleiter für Soziales, Pflege und Alter im Gesundheitsministerium, unterrichtete die Abgeordneten über das Ermittlungsverfahren, das seit Frühjahr 2019 läuft – bis vor wenigen Tagen weitgehend ohne Kenntnis der Öffentlichkeit.

Christian Althoff

In Bad Oeynhausen liegt die Keimzelle des Wittekindshofs, der etwa 5000 Menschen an 100 Standorten betreut.

Wie berichtet, ermitteln die Staatsanwaltschaft Bielefeld und die Ermittlungskommission „Herbst“ gegen 145 Beschuldigte. Dabei handelt es sich um einen Diakon als Hauptbeschuldigten sowie um Pflegekräfte und Ärzte der Behinderteneinrichtung, aber auch um gesetzliche Betreuer von Menschen mit Behinderungen. 32 Bewohner sollen ohne Zustimmung eines Richters gefesselt, eingesperrt und manche auch misshandelt worden sein.

Diel sagte, die Vorwürfe machten ihn fassungslos. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass wir im Jahr 2021 noch über solche Dinge sprechen müssen.“ Der Wittekindshof habe ähnliche Vorfälle in seinen Einrichtungen aus den 50er und 60er Jahren aufgearbeitet. Dass sie nun wieder Thema seien, mache ihn sprachlos.

Das Ministerium habe 2019 von den Ermittlungen erfahren, sagte Diel. Damals sei man noch davon ausgegangen, dass es Einzelfälle in Graubereichen gewesen seien. „Am 17. Dezember 2020 hat uns dann die Kripo mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Bielefeld über den aktuellen Stand informiert.“ Da habe man von dem ganzen Ausmaß erfahren – auch davon, dass CS-Gas gegen Bewohner eingesetzt worden sei. „Offenbar nicht nur in Notsituationen.“

Der Abteilungsleiter sagte, die individuelle Schuld von Mitarbeitern müsse die Staatsanwaltschaft klären. „Unsere Aufgabe ist zu klären, wo das System nicht funktioniert hat.“ Es gebe Fragen an den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der für die Qualitätssicherung zuständig sei, aber auch an den Kreis als Heimaufsicht und die Bezirksregierung Detmold. Der Abteilungsleiter sagte, das Ministerium werde voraussichtlich in dieser Woche Einblick in die Ermittlungsakten nehmen können. „Dann wissen wir mehr.“ Mit dem Fall sei eine Projektgruppe im Ministerium befasst.

Im Ausschuss wurden Fragen aufgeworfen, etwa ob die Größe des Wittekindshofs (3500 Mitarbeiter, 5000 Klienten) vielleicht die Vorfälle begünstigt haben könnte, aber auch, warum die Verstöße so lange unentdeckt geblieben seien.

Das „Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben“ (KSL) für Ostwestfalen-Lippe hatte schon zuvor Stellung zu dem Fall bezogen. Das vom Land und der EU geförderte Zentrum hat das Ziel, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen dauerhaft zu verbessern. Diplom-Sozialpädagoge Stephan Wieners, Projektleiter des Kompetenzzentrums, erklärte zum Fall Wittekindshof, es gebe leider immer noch Institutionen, in denen unbemerkt passiere, was niemals passieren dürfe: „Nämlich die Aussetzung fundamentaler Menschenrechte.“ Viele Beschäftigte des Wittekindshofs hätten das Unrecht über lange Zeit mitgetragen und nicht hinterfragt. Wieners: „Sie agierten in einer Blase mit eigenen Rechtsauffassungen und Machtausübung.“

Verantwortlich zu machen seien dafür nicht nur eventuelle Wortführer, die Misshandlungen als erzieherische Reaktion auf uner­wünschtes Verhalten möglicherweise legitimiert hätten, sondern auch jene, die diese mutmaßlichen Methoden schweigend akzeptiert oder sogar übernommen hätten. „Unabhängig von der noch zu klärenden individuellen Schuld der einzelnen Beschäftigten ist es besonders erschreckend, wie leicht ein geschlossenes System innerlich aus den Fugen geraten konnte und es den Mitgliedern dieses Systems nicht mehr gelang, ihr Handeln ethisch oder moralisch oder wenigstens fachlich zu reflektieren und zu korrigieren.“

Stephan Wieners sagte, es bedürfe offensichtlich noch zahlreicher Anstrengungen bei der Vermittlung menschenrechtlicher Werte auf Basis der UN-Behindertenrechtskonvention.

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