Franz Müntefering überzeugt in voll besetzter Druckerei in Bad Oeynhausen mit Lesung aus seinem Buch
Von den Freuden des Älterwerdens
Bad Oeynhausen (WB). Der ehemalige Vizekanzler wirbt für ein engagiertes Seniorenleben: Mit einer spannenden Lesung und Anekdoten aus seinem Leben hat Franz Müntefering am Montagabend knapp 150 Zuhörer in der Druckerei in seinen Bann gezogen.
Sein leidenschaftliches Plädoyer für einen erfüllten dritten Lebensabschnitt hat mehr als 200 Seiten und ist seit März im Buchhandel verfügbar: »Unterwegs – Älterwerden in dieser Zeit« heißt das Kondensat aus Lebenserfahrung, guten Ratschlägen und engagierten Positionen. Der 79-Jährige hatte es eigenhändig auf einer klassischen Schreibmaschine verfasst, wie er schmunzelnd zugab.
»Münte« diskutiert vor Lesung mit Schüler
Franz Müntefering, der »Münte« aus dem Sauerland, der als SPD-Vollblutpolitiker jahrzehntelang die Geschicke seiner Partei an der Spitze mitgestaltet hatte, er saß im schlichten grauen Anzug bis kurz vor seinem Leseauftritt im Publikum und diskutierte: mit Julius Schwarz, Schüler des Immanuel-Kant-Gymnasiums. Aber der 16-Jährige war augenscheinlich der einzige Jugendliche in der Veranstaltung. Die meisten Zuhörer, gut in der Lebensmitte oder älter, waren den Themen der Lesung daher näher: Denn in dem Buch von Franz Müntefering geht es um das Älterwerden und seine Chancen und Herausforderungen.
Als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) kennt Müntefering Zahlen und Fakten: »Fünf Millionen Menschen sind über 80 Jahre alt, Tendenz steigend. Und sogar 80 Prozent dieser ›Alten‹ können noch für sich selbst sorgen«, zitierte er. Den offenen Blick auf die Zuhörer gerichtet, fügte er hinzu: »Und in Zukunft kommen laut statistischer Lebenserwartung noch richtig gut Lebensjahre oben drauf«.
»Der Schatz der Älteren ist die viele freie Zeit«
Dass man das Alter nicht »abschreibt«, nur weil sich die Jahre mehren, das machte Müntefering schnell klar. Wenn er gefragt werde, ob er sich mit 79 Jahren »alt fühle«, dann antworte er: »Nein. Ich fühle mich nicht alt. Denn ich bin alt«. Die Lacher aus dem Publikum bestärkten ihn in seiner Botschaft: das Alter nicht »weglügen«, sondern das Beste daraus machen.
»Der Schatz der Älteren ist die viele freie Zeit«, fasste Müntefering seine Überzeugung zusammen. Und beschrieb fortan, was mit diesem Schatz zu tun wäre. Nämlich Gutes tun, sich engagieren in Politik oder Gesellschaft, zugunsten der Nächsten und Schwächeren. Aber auch gut für sich selbst sorgen: für den eigenen Körper, für Gesundheit und Fitness. Sich um soziale Kontakte, geistige Anregungen und Bereicherung bemühen. Einer auf den anderen achten. Gemeinsam Pläne schmieden.
Alles schon mal gehört? Könnte man denken. Aber dennoch: Was Franz Münteferings Lesung spannend machte, war sein Mix aus Lebenserfahrung und persönlichen Anekdoten einerseits und dem glasklar sezierten gesellschaftlichen »Sonderstatus« der »Neuen Alten«. Denn für sie, so beschreibt es Müntefering, ist vieles nicht mehr selbstverständlich: das Mehrgenerationenhaus, die bedingungslose Familienversorgung, die auskömmliche Pension. Heute müssten »die Alten« sich neu einmischen, forderte er. Freizeittreffs organisieren und »einmal im Vierteljahr ein Rollatorenrennen«, wie er schmunzelnd einwarf.
Müntefering plaudert schnörkellos
Schnörkellos plauderte er über Sturzprophylaxe und Demenzdiagnose, über beschämend niedrige Pflegelöhne und das Problem der Grundsicherung im Alter. Aber nicht ohne Augenzwinkern: »Auf Rädern zum Essen« heißt seine Alternative zu »Essen auf Rädern«. Und gegen Alterseinsamkeit und »Kompetenzverfall« empfiehlt er dreimal »L«: Lernen, Lehren und Lachen. Und zwar in einer Gesellschaft, davon ist Müntefering überzeugt, die für die »Alten« noch genügend Aufgaben bereithält.
Kurzum: ein lohnender Abend im Begegnungszentrum, unterhaltsam gestaltet von einem in vielerlei Hinsicht beispielgebenden Menschen.
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