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Wahl-New-Yorker mit Wurzeln in Bad Oeynhausen: Pianist Robin Giesbrecht beschreibt, wie Corona sein Künstlerleben verändert hat

Weiterleben – aber „mit sechs Fuß Distanz“

Bad Oeynhausen

Dass die Corona-Krise das künstlerische Leben weitgehend zum Erliegen gebracht hat, hat das Pianisten-Ehepaar Robin (27) und Arianna Giesbrecht (26) am eigenen Leib erfahren. Im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT blickt der Wahl-New-Yorker mit Wurzeln in Bad Oeynhausen auf die vergangenen Monate zurück.

Malte Samtenschnieder

Robin Giesbrechts Konzerte in Bad Oeynhausen sind ein Publikumsmagnet. Dieses Foto ist bei einem Auftritt 2017 in Eidinghausen entstanden. Foto: Malte Samtenschnieder/Archiv

Wie hat die Corona-Pandemie Ihr künstlerisches Wirken seit dem Frühjahr 2020 beeinflusst?

Robin Giesbrecht: Wie viele Musiker, und alle anderen Menschen sicherlich auch, hat uns die Corona-Pandemie stark beeinflusst. Obwohl viele Dinge vom Homeoffice aus funktionieren, gehören Konzerte leider nicht dazu. Natürlich wird nun viel online gemacht wie Live-Stream-Konzerte oder beispielsweise Beyoncé mit ihrem Disney-Film, Mariah Carey mit ihrem Apple Exclusive oder auch Jawsh 685 und Chris Brown auf Tiktok. Bei der klassischen Musik ist das aber anders. Bei ihr geht es vor allem um die Live-Erfahrung, die der Zielaltersgruppe besonders fehlt. Das ist auch der Grund, warum aus meiner Sicht vor allem die Künste schlimmer unter der Pandemie leiden.

Welche Auswirkungen ergeben sich für Ihre Arbeit als Konzertpianist? Sind öffentliche Auftritte möglich? Gibt es alternative Veranstaltungsformate?

Giesbrecht: Öffentliche Auftritte waren für uns eher begrenzt möglich. Wir haben zwar im vergangenen Jahr einige Konzerte gegeben, jedoch nur in kleinerem Rahmen und immer mit der Sorge, dass es eben ein Risiko gibt. Online-Live-Konzerte haben wir zwar gemacht, aber eher weniger. Sie dürfen nicht vergessen, das Online-Konzerte nun nicht mehr nur mit anderen Konzerten von Mitmusikern konkurrieren, sondern auch mit Live-Konzerten von Musikern anderer Genres in Produktionen mit großen Budgets. Hinzu kommen Netflix, Youtube, die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker und vieles mehr. Der Verbraucher muss nun täglich eine Entscheidung treffen – nicht, ob er abends in die Philharmonie geht, sondern welche Form von „Home Entertainment“ genutzt wird.

Wie sieht es mit dem Vorlesungsbetrieb an Ihrer Hochschule aus? Gibt es Präsenzveranstaltungen? Gibt es alternativ Online-Vorlesungen?

Giesbrecht: Online-Vorlesungen gibt es an der Yale University weiterhin. Jedoch haben viele Studenten ihr Studienjahr auf 2021/2022 verschoben. Und das ist auch verständlich. Teil der Studienerfahrung ist der Austausch zwischen Mitstudenten, was über Videokonferenzen etwa bei Zoom einfach nicht so gut möglich ist. Ich selbst gebe derzeit keine Vorlesungen mehr an der Yale, da ich meine Freizeit nun auf der „Industrie-Seite“ der Musik verbringe. Aber ich gebe ab und zu noch Gastvorlesungen, beispielsweise als nächstes an der New York University.

Sie haben bei Ihrem letzten Besuch in Deutschland davon gesprochen, dass Sie gemeinsam mit Ihrer Frau Arianna eine Musikschule eröffnen wollen. Konnten Sie diese Pläne trotz Corona umsetzen, oder müssen Sie sie auf die Zeit nach der Pandemie verschieben?

Giesbrecht: Diese Pläne haben wir verwirklicht, jedoch nur kurzfristig. Denn Corona hat leider unser erstes offizielles Schuljahr und die Konzertsaison gecancelt. Jedoch sind wir zuversichtlich, dass es in diesem Jahr wieder weiter gehen wird.

Wie hat sich Ihr ganz normaler Alltag unter dem Einfluss von Corona verändert?

Giesbrecht: Unser Leben hat sich, wie bei allen anderen auch, natürlich stark verändert. Hier kann man von einer 180-Grad-Drehung sprechen. Da wir vor allem Vielreisende waren, hat es uns stark getroffen, dass wir nun längerfristig zu Hause bleiben mussten. New York war regelrecht eine Geisterstadt, als wir dort im Juni spazieren gegangen sind. Das hat sich aber schnell wieder gebessert. Und schon im Oktober war es im East Village, wo viele unserer Lieblingsrestaurants sind, wieder richtig aktiv. Man hörte laute Musik auf allen Straßen, die Restaurants waren voll, und die Leute haben – mit sechs Fuß Distanz zueinander – ihr Leben weitergeführt.

Bitte vergleichen Sie einmal die Corona-Situation in Deutschland und den USA – welches Land hat Ihrer Meinung nach die Auswirkungen der Pandemie besser im Griff?

Giesbrecht: Solch einen Vergleich heute zu machen, ist schwierig. Ich glaube, wir werden das erst nach der Pandemie wissen, wenn Geschichtsbücher darüber schreiben. Amerika ist jüngst durch eine Transformation von einem Präsidenten zum nächsten gegangen. In dieser Phase habe sich viele Bürger aktiv gegen überhaupt irgendwelche Maßnahmen ausgesprochen – und auch so gehandelt. Das ist natürlich sehr problematisch. Jedoch kann ich auch dazu sagen, dass in den USA trotz extrem unterschiedlicher und vieler schlechter Maßnahmen schon etwa zehn von 100 Menschen geimpft worden sind. In Deutschland sind es nur etwa 3,6 von 100. Das finde ich sehr traurig – vor allem, wenn man Deutschland als das Land bezeichnet, das das Virus als „ernsthafter“ gesehen hat. Während in den Südstaaten von Amerika viele Leute in Sportbars ohne Maske sitzen und ihr Leben so weiter fortführen, wie es eigentlich schon immer war, ist die Mehrzahl von Menschen in Deutschland förmlich zu Hause „eingesperrt“. Wenn das Endresultat letztlich nicht viele, viele Male besser ist als in den USA, dann stimmt wahrscheinlich etwas nicht. Viele unserer Freunde in New York sind bereits freiwillig geimpft worden. In Deutschland hingegen muss meine 84-jährige Großmutter noch Wochen darauf warten.

Glauben Sie, dass der neue US-Präsident Joe Biden die Corona-Pandemie effektiver in den Griff bekommt als sein Vorgänger Donald Trump?

Giesbrecht: Erst zwei Wochen nach Joe Bidens Amtsantritt ist das schwierig einzuschätzen. Er regiert nun ein Land, in dem 70 Millionen Menschen glauben, dass die Pandemie entweder eine Erfindung der Demokraten – oder der Chinesen – ist. Das wird den Job des neuen US-Präsidenten schwierig machen. Jedoch bin ich zuversichtlich, dass er die Balance zwischen dem Aufrechterhalten der Wirtschaft und den richtigen Corona-Maßnahmen finden wird.

Gab es während der Corona-Pandemie Momente, in denen Sie sich gewünscht haben, wieder in Deutschland zu leben?

Giesbrecht: Ja, aber weniger aufgrund der Pandemie, sondern vor allem, weil es schon länger unser Wunsch war, einmal wieder in der Heimat zu leben – wenn auch nur kurzzeitig. Diesen Wunsch haben wir uns nun erfüllt. Und so leben wir seit etwa zwei Wochen in der Hamburger Stadtmitte. Wir sind große Fans der Alster, der Kultur – wenn sie wieder zurückkehrt –, und des Lebens in Hamburg.

Wie gehen Ihre Familie und Ihre Freunde in Deutschland mit Ihrer Lebenssituation in den USA um?

Giesbrecht: Das Leben ist schon sehr unterschiedlich in den beiden Ländern. Das merke ich vor allem jetzt, nachdem ich schon einige Tage wieder in Deutschland bin. Jedoch ist die Lebenssituation zu Corona-Zeiten in Deutschland und New York ähnlich. Außer, dass wir in New York weiterhin Essen und Shoppen gehen konnten. Ich glaube, es gab aber ansonsten nicht viel, womit man „umgehen“ musste.

Wie sind Ihre Pläne für 2021? Gibt es bereits Projekte, von denen Sie hoffen, dass Sie sie in diesem Jahr – trotz Corona – umsetzen können?

Giesbrecht: Ja, wir werden wieder viel unterwegs sein. Denn die Schule in Connecticut wird wieder eröffnet. Und wir planen außerdem, eine Schwester-Schule in Hamburg zu starten, ob online oder vor Ort wird auf die deutschen Corona-Maßnahmen ankommen. Sobald Konzerte wieder offiziell stattfinden dürfen, freuen wir uns, dann auch selbst musikalisch wieder durchzustarten.

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