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Neue Serie „Espelkamper Fußspuren“: Besuch des historischen Isenstedter Dorfkerns

Als die Glocke im Teich verschwand

Espelkamp (WB). Ewald Harre und Reinhard Bösch schauen von der Straße „Im Dorfe“ auf die Wiese, die nun zahlreiche Bäume beherbergt. „Hier hat früher einmal eine Kapelle gestanden, ganz ähnlich der Frotheimer Klus“, erklärt Bösch, der Ortsvorsteher in Isen-stedt. Auch einen Friedhof habe es an der Isenstedter Klus gegeben und ein altes Feuerwehrhaus.

Felix Quebbemann

Der Isenstedter Ortsvorsteher Reinhard Bösch (links) und der Ortsheimatpfleger Ewald Harre stehen auf dem alten Isenstedter Dorfplatz. Bis weit in das vergangene Jahrhundert hinein war dies der Mittelpunkt des Ortes. Foto: Felix Quebbemann

Die Blicke von Bösch und Harre gehen in Richtung Wiehengebirge. Die ersten Häuser Isenstedts seien auf dem Talrücken entstanden. Die Landwirte hätten dort fruchtbares Land vorgefunden. Alte Weg- und Ortsbeschreibungen wie Fährmannstraße und Fischerstadt deuten darauf hin, dass es vor etlichen Jahrhunderten noch jede Menge Wasser rund um Isenstedt gegeben hat – als das Eis nach der Eiszeit geschmolzen ist.

Wegbeschreibungen

Während der Eiszeit musste die Weser einen Umweg machen und floss in das holländische IJsselmeer. Als die Schmelze begann, änderte sich die Landschaft. Bis nach Husen bei Nettelstedt soll sich damals der „Schwarze See“ erstreckt haben. Der Fährmann soll von Isenstedt nach Husen übergesetzt haben. „Und in der Fischerstadt haben die Fischer gewohnt“, fügt Bösch an.

Als der „Schwarze See“ schließlich begann auszutrocknen, wurde die Gegend zu einer Moorlandschaft – dem Torfmoor, „das übrigens bis 1973, dem Jahr der Kommunalreform, noch größtenteils zu Isenstedt gehörte“, sagt Bösch, der ein waschechter Isenstedter ist.

An der heutigen Straße „Im Dorfe“ wurde Isenstedt gegründet. Die ersten Stätten trugen lediglich Nummern und zogen sich bis zur alten B239 hin, wie Harre erläutert.

Viel erlebt

Aber warum ist Isenstedts Ortskern eigentlich in den nördlichen Bereich gewandert? Dies sei der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geschuldet gewesen, sagen Harre und Bösch. Der Kaiser Dorfkrug, mit Schulzentrum und Sportplatz heute das Zentrum in Isenstedt, sei damals schon eine Gastwirtschaft gewesen und hätte mit Lebensmitteln und Kohlen gehandelt. Mit der Eröffnung der Grundschule im Jahr 1965 habe sich dann der Dorfmittelpunkt vollends nach Norden verschoben.

Zu diesem Zeitpunkt war die Isenstedter Klus schon lange Geschichte. Denn die Bedeutung des Gebäudes schwand nach dem Jahr 1880 – dem Jahr der Einweihung der Isenstedter Christuskirche – immer weiter.

Die Klus und der historische Ortskern Isenstedt hatten zu diesem Zeitpunkt schon viel erlebt – unter anderem zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Europa war von den Koalitionskriegen unter Napoleon rund um 1800 schwer gebeutelt. Der Rückzug der Franzosen führte sie auch durch Isenstedt.

Die Glocken-Geschichte

Und dabei hätten die Besetzer ein Auge auf die Glocke der Isenstedter Klus geworfen. „Sie war wohl schon auf den Wagen geladen worden“, erzählt Bösch die Geschichte. Doch ohne Gegenwehr wollten die Isenstedter ihre Glocke nicht hergeben. Und sie wandten eine List an.

Denn die französischen Soldaten wurden von den Isenstedtern zu einem leckeren Mahl eingeladen, Speck und andere Köstlichkeiten sollten die hungrigen Kämpfer von dem Wagen mit der Glocke ablenken. Während die Besetzer sich die Mägen vollschlugen, packten tatkräftige Isenstedter zu, hoben die Glocke vom Wagen und machten sich mit dem gusseisernen Schwergewicht in Richtung Norden aus dem Staub. Ihr Ziel war der Hof Nr. 8, heute ist der Hof Pollheide, Im Dorfe 2. Die Frage aber stellte sich: „Was ist, wenn die Franzosen genug gegessen haben und dann den Wagen ohne Glocke sehen?“ Das Ding musste gut versteckt werden.

Da kam den Isenstedter Glocken-Rettern das perfekte Versteck in den Sinn. Ein Teich, direkt vor der Stätte Nr. 8. Kurzerhand versenkten sie dort die Glocke. Die Franzosen mussten ohne ihre geplante Beute von dannen ziehen und konnten sich lediglich damit trösten, dass sie den wohl leckersten Speck weit und breit genießen durften.

„Was aber danach mit der Glocke geschah, weiß niemand“, sagt Bösch. Ob sie eingeschmolzen wurde oder letztlich nach dem Ende der Klus woanders hingekommen ist, bleibt wohl für immer ein Geheimnis.

Stätte Nr. 8

Harre und Bösch gehen die etwa 300 Meter vom ehemaligen Dorfkern in Richtung Stätte Nr. 8 und betrachten sich das gut erhalten Gebäude, das leer steht. 1835 sei das Haus neu aufgebaut worden, erklärt Bösch. Das Ständerwerk sei damals von Tonnenheide nach Isenstedt gebracht worden. Der Neuaufbau war notwendig geworden, weil der Originalbau in Flammen aufgegangen ist.

Harre und Bösch betrachten sich das Haus. So viele Geschichten wissen die alten Mauern zu erzählen, die 1835 neu aufgebaut wurden. Ein Knecht habe sich damals im 19. Jahrhundert ein Pfeifchen zur Entspannung gegönnt. „Beim Ausklopfen der Pfeife setzten die Funken das Haus in Brand“, weiß Bösch zu erzählen.

Beim Rundgang um das Haus ziert eine Reihe riesiger Eichen das wunderschöne Fachwerk. Die riesigen Bäume stehen aber ungewöhnlich dicht beieinander – kaum zwei Meter trennen die Stämme der Eichen. Die Bäume seien damals so dicht gesetzt worden, um als Blitzableiter oder Blitzschutz für das Haus zu fungieren, sagt Bösch. Ganz irdische Probleme wurden zu jener Zeit also ganz praktisch gelöst.

Kriegs-Leid

Leid aber mussten die Isenstedter in ihrer mehr als 750-jährigen Orts-Geschichte häufiger über sich ergehen lassen. Bösch und Harre schauen sich auf dem Platz „Im Dorf 2“ noch einmal um. Im Jahr 1759 sei dies der Ort gewesen, wo sich etwa 42.000 Soldaten auf die Schlacht bei Minden während des siebenjährigen Krieges vorbereitet haben. Darunter, so Bösch, habe die Isenstedter Bevölkerung sehr leiden müssen. Kriege gingen mit vielen Entbehrungen der Bevölkerung einher.

„Beinahe“, so Bösch, „hätte Isenstedt auch einen Bahnhof bekommen.“ Als er dies sagt, zeigt er auf das Wiehengebirge, das vom ehemaligen Isenstedter Dorfkern beinahe zum Greifen nahe erscheint. Die Kleinbahn von Lübbecke nach Minden aber sollte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgrund der Befürchtungen „zu großer weltlicher Einflüsse“ doch nicht durch die beiden Dörfer Isenstedt und Frotheim führen, sondern über die heutigen Lübbecker Ortschaften.

Isenstedts historischer Dorfkern ist zwar nicht mehr der Mittelpunkt des Dorfes. Aber der Platz rund um die Straße „Im Dorfe“ hat jede Menge spannender Geschichten zu erzählen.

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