Polizei ermittelt wegen Hausfriedensbruch – Bürgermeister lässt Gebäude absperren
Youtuber findet alte Patientenakten in ehemaliger Klinik
Büren
Ein Youtube-Video mit dem Titel „Lostplaces: Unglaublich“ sorgt derzeit in Büren für Aufregung. In dem Video ist zu sehen, wie der Youtuber „ItsMarvin“ und mehrere Begleiter ohne Probleme in das seit zehn Jahren geschlossene St.-Nikolaus-Hospital eindringen und dort unter anderem Tausende sensibler Krankenakten finden und zum Teil durchstöbern.
Bürens Bürgermeister Burkhard Schwuchow (CDU) zeigte sich in einer ersten Stellungnahme entsetzt. Die Polizei ermittelt nun wegen Hausfriedensbruch und prüft auch, ob weitere Straftaten vorliegen könnten, wie ein Polizeibeamter am Sonntag gegenüber dieser Zeitung bestätigte.
Das Video wurde am Freitag vom Youtuber „ItsMarvin” hochgeladen. Am Sonntagmorgen zählte der gut 23 Minuten lange Film schon mehr als 131.000 Aufrufe. Die Bilder zeigen, wie die Männer durch eine scheinbar offene Tür ins Gebäude eindringen. Im Gebäude staunen sie über die Aktenberge und auch die ansonsten noch vorhandene Ausstattung in der früheren Bürener Klinik. Sie durchblättern Akten, zitieren aus den Unterlagen und finden offenbar auch Röntgenbilder.
Wenige Sekunden hätten sie lediglich benötigt, um in das Gebäude zu gelangen. Der Sicherheitsdienst vor Ort sei kein Hindernis gewesen, erzählen die Filmer. „Das ist der Mega-Skandal“, sagt der Youtuber. Es kümmere sich offenbar niemand um die Sicherheitsbelange. Es sei „krass“, dass man so leicht an personenbezogene Daten komme, sagt der Youtuber in dem Video.
Für Aufregung hatte das Video vor allem in der „Büren“-Gruppe in dem sozialen Netzwerk Facebook gesorgt. Dort fragten Mitglieder, wie in Zeiten des immer wichtiger werdenden Datenschutzes der Zugriff auf eine solch große Aktenmenge geschehen konnte. Auch in der Politik verbreitete sich der Fall schnell. Einige Facebook-Nutzer schlugen vor, sich die eigenen Akten aus dem früheren Hospital zu holen.
So reagiert die Stadt Büren auf den Fall
Ein solches Vorhaben hat die Stadt Büren nach Angaben von Bürgermeister Schwuchow aber bereits unterbunden. Nach Bekanntwerden der Missstände sei er gemeinsam mit dem Leiter des Bürener Ordnungsamtes unverzüglich tätig geworden. Das Ordnungsamt des Kreises Paderborn sei ebenso eingebunden gewesen wie die Kreispolizeibehörde Paderborn. Der Fall wurde angezeigt und das Gebäude abgesperrt. Die Polizei ermittelt wegen Hausfriedensbruch.
Die Youtuber verraten allerdings in dem Video nicht, wo sie gedreht haben. Die Bilder zu Beginn des Films sowie weitere Details lassen aber keinen Zweifel daran, dass es sich um das frühere Hospital in Büren handelt.
Bürgermeister Schwuchow schreibt in einer Stellungnahme, die auf der Homepage der Stadt und auf Schwuchows Facebook-Seite veröffentlicht wurde, dass der Fall Anlass zu großer Sorge sei. Die Tatsache, dass schützenwerte Personendaten aus Patientenakten des ehemaligen St.-Nikolaus-Hospitals einem unbefugten Zugriff zugänglich seien, sei erschreckend und in keiner Weise akzeptabel. „Die Stadt Büren wird alles in Ihrer Macht stehende unternehmen, um diesen Zustand unmittelbar abzustellen“, schreibt der Bürgermeister weiter.
Stadtverwaltung wusste nach eigenen Angaben nichts von den Akten
Schwuchow betont, dass es der Stadt nicht bekannt gewesen sei, dass in dem Gebäude sensible Akten weder sachgerecht noch datenschutzkonform aufbewahrt wurden. „In den vergangenen Jahren haben sich vereinzelt ehemalige Patienten des St.-Nikolaus-Hospitals bei der Stadt Büren gemeldet und sich nach dem Verbleib ihrer Akten erkundigt. In sämtlichen Fällen haben wir auf die Verantwortlichkeit der privaten Trägerin hingewiesen. Als Ansprechpartner wurde auf die Konzernleitung beziehungsweise seinerzeit verantwortliche Mitarbeiter der Marseille-Kliniken AG verwiesen“, sagt Schwuchow.
Da diese Ansprechpartner am Samstag nicht erreichbar gewesen seien, sei das Gebäude in Zusammenarbeit mit dem vom Eigentümer beauftragten Sicherheitsunternehmen unverzüglich abgesperrt worden. Des Weiteren seien die Räume, in denen sich die Patientenakten befinden, auf Veranlassung der Stadt zusätzlich baulich gesichert worden. Er gehe davon aus, dass ein erneuter unbefugter Zugang zu den Patientenakten nicht mehr möglich sei, schreibt der Bürgermeister.
Die Stadt Büren sei nach der Schließung des St.-Nikolaus-Hospitals weder verantwortlich, zuständig noch berechtigt gewesen, über den Umgang und Verbleib der Patientenakten zu entscheiden. Auch die ordnungsgemäße Abwicklung des Krankenhausbetriebes sei nicht Sache der Stadt gewesen.
Schwuchow: „Ebenso hat die Stadt Büren zusätzliche Kontrollen durch örtliche Sicherheitsunternehmen beauftragt. Diese werden uneingeschränkt fortgeführt bis eine rechtssichere Lösung mit dem Umgang der Patientenakten gefunden wurde. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ein unbefugtes Betreten des gesamten Gebäudekomplexes strafrechtlich verfolgt werden kann.“
30 Jahre Aufbewahrungspflicht für Krankenhausakten
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein-Westfalen besteht grundsätzlich eine mindestens zehnjährige Aufbewahrungspflicht für Patientenakten. Das Transfusionsgesetz und die Röntgenverordnung verlangen jedoch eine längere Aufbewahrungspflicht von bis zu 30 Jahren. Die Ärztekammer empfiehlt daher die Aufbewahrung der Akten von mindestens 30 Jahren. Dies gelte insbesondere für Krankenhausakten, um zum Beispiel im Falle eines Rechtsstreits eine vollständige Dokumentation gewährleisten zu können.
Zudem heißt es, dass bei der Aufbewahrung ärztlicher Unterlagen und Befunde deren Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität zu wahren sowie deren gegebenenfalls unmittelbare Verfügbarkeit sicherzustellen sei. Dies gelte in besonderem Maße für die elektronische Speicherung.
Hospital befand sich bis 2005 in kirchlicher Trägerschaft
Das Gebäude beherbergte bis 2010 das St.-Nikolaus-Hospital. Die Klinik befand sich ursprünglich in Trägerschaft der Bürener Kirchengemeinde St. Nikolaus. Nachdem sie Anfang der 2000er-Jahre auf Betreiben der Krankenkassen geschlossen werden sollte, begann der Niedergang. Zwischenzeitlich übernahm das evangelische Johannisstift das Haus, später die Marseille-Kliniken AG mit Sitz in Hamburg, die auch den benachbarten Seniorenwohnpark betrieb. Nach der Schließung der chirurgischen Abteilung hatte das Hospital zuletzt noch 60 Betten und etwa 70 Mitarbeiter.
2010 endete seine Geschichte mit der Insolvenz. Die Marseille-Muttergesellschaft war nicht länger bereit gewesen, ihrer Bürener Krankenhaus GmbH Kredite zu gewähren. Hauptargument war damals nach Mitteilung des Unternehmens die fehlende Zukunftsperspektive. Gegen die Schließung gab es damals massive Proteste der Bürener Bürger. Im Oktober 2010 verließen die letzten Patienten die Zimmer des Hospitals, das 152 Jahre zuvor gegründet worden war. Seitdem hat es seitens der Marseille AG immer wieder Versuche gegeben, die Liegenschaft zu verkaufen oder umzunutzen.
Auch die Stadt Büren versuchte das Gebäude zu kaufen, konnte sich aber mit der Marseille-Gesellschaft nicht über den Kaufpreis einigen. Danach belegte der Stadtrat das gesamte Areal mit einer Veränderungssperre, um mitbestimmen zu können, was dort anstelle eines Krankenhauses gebaut werden könnte.
Eine Stellungnahme der jetzigen MK-Kliniken AG, früher Marseille-Kliniken AG, zu den herumliegenden Patientenakten war bislang nicht zu bekommen.
Das Youtube-Video finden Sie hier .
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