Auch an Weihnachten umsorgen die Hospiz-Mitarbeiter ihre Gäste
Begleitung bis in den Tod
Paderborn
Sie sind gekommen, um zu sterben: Für die Gäste des Hospizes Mutter der Barmherzigkeit in Paderborn ist es das letzte Weihnachtsfest in ihrem Leben. Die Männer und Frauen sind unheilbar erkrankt. „Wann sie gehen, entscheidet nur der liebe Gott“, sagt Birgit Brauner, die das Hospiz an der Busdorfmauer leitet.
Die Gäste sind zwischen Mitte 20 und mehr als 80 Jahre alt. Die meisten sind jung – viel zu jung, um zu sterben. Das Durchschnittsalter liegt bei unter 60 Jahren. Die Diagnosen lauten Krebs im Endstadium, Schlaganfall, Nieren- oder Herzerkrankungen. Hoffnung auf Heilung gibt es nicht. Weihnachten im Hospiz – gibt es etwas Traurigeres? „Wir lachen hier sehr viel“, stellt die Pflegedienstleiterin klar. „Und warum sollten unsere Gäste mit ihren Angehörigen nicht auch lachen dürfen – selbst wenn im Nebenzimmer gerade ein Mensch stirbt? Das gehört hier im Haus dazu“, sagt Birgit Brauner. Manche können aufstehen, andere liegen während ihres Aufenthaltes im Bett. Die meisten Gäste seien bei klarem Verstand und warteten auf ihren Tod.
Warteliste ist lang
Wenn es das Hospiz nicht schon geben würde, müsste es wohl erfunden werden. Denn der Bedarf ist groß. 1992 ist das Hospiz von den Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vincenz von Paul in der Gesellengasse 1 gegründet worden. Der Platz reichte nicht, und so wurde ein neues Gebäude errichtet. Im Garten des Mutterhauses der Barmherzigen Schwestern Am Busdorf wurde das neue Hospiz im Jahr 2015 eingeweiht. Acht Gästezimmer stehen zur Verfügung, pro Jahr werden hier 130 bis 150 Gäste aufgenommen. Anfragen gibt es deutlich mehr, denn es gibt nur wenige Einrichtungen dieser Art in der Region. Birgit Brauner: „Wir haben eine Warteliste. Oftmals fragen uns Ehefrauen, Töchter oder Söhne oder auch Nichten und Neffen, wann ein Bett frei wird. Aber das können wir ja nicht vorhersehen. Viele Angehörige können einfach nicht mehr und brauchen unsere Unterstützung, denn die Pflege zu Hause ist eine Mammutaufgabe. Im Durchschnitt versterben die Gäste im Hospiz nach zehn bis 14 Tagen. Es gibt aber auch Menschen, die nur wenige Stunden oder bis zu einem Vierteljahr hier sind.“
3044 Gäste in 28 Jahren
In den vergangenen 28 Jahren haben die derzeit 20 Mitarbeiterinnen und Ordensschwestern 3044 Menschen auf ihrem letzten und wohl schwierigsten Stück des Lebens begleitet. Kein Name ist vergessen, denn alle stehen mit ihrem Sterbedatum in einem Buch, das in der Kapelle ausliegt. Birgit Brauner kann sich an viele von ihnen erinnern. Wie zum Beispiel an den jungen Vater, dessen Frau am Sterbebett saß, während die kleinen Kinder im Zimmer spielten. Oder der junge Mann mit Downsyndrom, der den Schwestern schnell ans Herz gewachsen sei: „Er hat uns gezeigt, wie positiv man leben kann, auch wenn man ein Defizit hat.“
Wut auf die Krankheit
„Die Menschen, die zu uns kommen, haben die unterschiedlichsten Biografien. Manche sind traurig, andere sind wütend. Sie haben Wut auf ihre Krankheit. Einige sind zunächst distanziert. Das legt sich meist nach kurzer Zeit. Wir lassen hier aber jeden in Ruhe ankommen“, berichtet Brauner. Einige Gäste seien nicht einfach, was an der Krankheit liege. „Das nimmt hier aber keiner persönlich.“
Nicht selten seien Familien zerstritten. „Wenn der Wunsch geäußert wird, stellen wir Kontakt zu Verwandten her. Die Versöhnung auf dem Sterbebett ist aber nicht unsere Aufgabe. Es gibt Situationen, wo der sterbende Sohn partout seinen Vater nicht sehen will, während die Mutter Abschied nehmen darf.“
Arbeiten an Festtagen
Weihnachten im Hospiz – wie wird das begangen? Die Kapelle des Hauses wird weihnachtlich geschmückt und ein Tannenbaum aufgestellt. Wenn die Gäste es wünschen, gibt es in den Zimmern entsprechenden Weihnachtsschmuck, den sie auch von zu Hause mitbringen dürfen. Und natürlich läuft den ganzen Tag über Weihnachtsmusik. Essen hält Leib und Seele zusammen, heißt es. Bei den Gästen ist das anders. Viele haben keinen Appetit. Würden sie den klassischen Weihnachtsbraten verspeisen, könnten sie ihn womöglich nicht bei sich behalten. Für viele Angehörige sei das nur schwer zu verstehen, dass ihre Liebsten nicht mehr essen wollen.
Auch an Weihnachten und über den Jahreswechsel arbeitet das Team im Hospiz in drei Schichten. „Es ist eine besondere Situation, weswegen die Ordensschwestern Gespräche für Angehörige anbieten. Zudem gibt es Seelsorge über den Krankenhaussender, wo Messen übertragen werden.“ Für die Gäste gebe es keine starren Abläufe, die Wünsche würden berücksichtigt.
Respekt vor dem Glauben
In der Stunde des Todes seien die Gäste nicht allein. Einige fantasieren und sehen Bilder. „Ich bin auch schon gebeten worden, die Tasche zu packen. Die Sterbende sagte zu mir, dass ihre Eltern kämen, um sie zu holen. Da habe ich ihre Tasche geholt und die Sachen gepackt“, erzählt Birgit Brauner.
Auch wenn der Träger katholisch sei, so werde bei den Konfessionen keine Einschränkung gemacht. Muslime seien ebenso willkommen wie Zeugen Jehovas und Buddhisten. „Hier herrscht absoluter Respekt vor der jeweiligen Religion.“ Das gilt auch für den Moment, wenn der Mensch verstirbt. „Wir öffnen dann ein Fenster, damit die Seele in den Himmel entweichen kann.“
In jedem Zimmer, das mit Nasszelle, Fernseher und Terrasse ausgestattet ist, hängt ein Kreuz. Jeder Gast erhält zudem einen kleinen Holzengel, den er auf seinem letzten Weg mitnehme.
Wenn ein Gast geht
„Nicht nur bei Angehörigen, auch bei uns fließen Tränen“, berichtet die Pflegeleiterin. Man lasse das Trauern zu, ohne sich dafür zu schämen. Bevor die Toten das Gasthaus verlassen, werden sie für ihren letzten Gang angekleidet: „Wir hatten schon die unterschiedlichsten Wünsche: Einer wollte in Bermudashorts, ein anderer im BVB-Trikot beerdigt werden. Ganz oft wird die Schützenuniform gewünscht oder auch mal die Motorradkleidung.“ Das Sterben im Hospiz lässt keine Mitarbeiterin unberührt. Um das Erlebte zu verarbeiten, werden Supervision und Teamgespräche angeboten. Und es werde viel gelacht. Auch an Weihnachten.
Kommentar von Ingo Schmitz: Hospiz ist Nächstenliebe
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verkündete vor einigen Wochen, dass uns das härteste Weihnachtsfest bevorstehe, das die Nachkriegsgenerationen je erlebt hätten. Zum Glück wird diese Prognose nicht eintreffen. Weder müssen wir in zerstörten Häusern das Weihnachtsfest feiern, noch um den Familienvater bangen, der sich in Kriegsgefangenschaft befindet, oder um Angehörige, die im geteilten Deutschland getrennt leben. All das haben wir zum Glück hinter uns gelassen.
Ja, Corona ist lebensgefährlich. Und es ist zwingend notwendig, dass alle Menschen an diesem Weihnachtsfest und darüber hinaus ihre persönlichen Kontakte deutlich einschränken, um sich und ihre Nächsten vor dem Virus zu schützen. Trotzdem ist es nicht angebracht, in Verzweiflung zu verfallen. Es gibt viele coronakonforme Möglichkeiten, soziale Kontakte auszuüben, die wir so dringend zum Leben brauchen. Man muss nur die Initiative oder einfach zum Telefonhörer greifen.
Im Frühjahrs-Lockdown machten sich viele Menschen in unserem Land auf die Suche nach Helden. Medizinisches Personal, Altenpfleger, Supermarkt-Kassierer, Müllwagenfahrer: Sie alle wurden zu Helden. An dieser Stelle sollen aber ausdrücklich diejenigen Erwähnung finden, die wohl eine der emotional schwersten Tätigkeiten ausführen, die es gibt: Die Arbeit im Hospiz ist nämlich kein Job, sondern basiert auf Nächstenliebe. Die Mitarbeiterinnen lassen niemanden im Sterben allein – auch nicht an Weihnachten. Dieses Engagement kann nicht mit Geld aufgewogen werden und verdient unseren tiefsten Respekt.
In diesem Sinne wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des WESTFÄLISCHEN VOLKSBLATTES ein besinnliches Weihnachtsfest in Gesundheit und Zufriedenheit. Bleiben Sie gesund!
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