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Richard Erb kennt China und Taiwan gut und hält Vorträge über das brisante Verhältnis

Paderborner rechnet fest mit einem Krieg

Paderborn

Statistisch werden in Taiwan drei Erdbeben pro Tag registriert. Zum Glück nur von der Stufe 1. Das ist nichts gegen die politische Erschütterung, die ein Krieg mit China auslösen würde.  Dass er kommt, davon geht Richard Erb aus Paderborn fest aus.

Richard Erb umgibt sich in Paderborn mit Dingen aus Asien. Bei einem Krieg zwischen China und Taiwan befürchtet er für Deutschlands Wirtschaft Probleme: „Für ein Notebook braucht man 300 Zulieferer. “ Foto: Dietmar Kemper

Zehn Jahre lang, von 2000 bis 2010, hat Erb in Taiwan gelebt, in der Hauptstadt Taipeh City. Die chinesische Seite kennt der frühere Vertriebsleiter Serversysteme und Einkaufsleiter für den asiatischen Markt der Nixdorf-Nachfolgefirmen ebenso gut – in Peking und Suzhou schlug er Wurzeln. An die Zeit in Asien erinnert er sich gerne zurück, die Zukunft dort sieht er mit großer Sorge. 

„Ich gehe wie viele meiner Freunde sowohl in China als auch in Taiwan davon aus, dass es noch vor 2030 zu einem militärischen Konflikt kommen wird“, sagt Erb und befürchtet für Europa und Deutschland noch heftigere Auswirkungen als durch den Ukraine-Krieg. Die Situation erscheint ihm deswegen so brisant, weil Taiwan das Zentrum der Halbleiterindustrie darstelle und „Elektronik das Nervensystem der Wirtschaft ist“. Zwar bauten die USA für viele Milliarden Dollar und mit Hilfe von Firmen wie Samsung aus Südkorea in der Heimat eine eigene Halbleiterinfrastruktur auf, aber bis die Unternehmen voll produzieren könnten, dauere es bestimmt noch bis 2026.

USA auf Halbleiter aus Taiwan angewiesen

Erb sagt voraus: „Wenn China jetzt Taiwan attackieren würde, müssten die USA sehr schnell militärisch mit ganzer Kraft reagieren, in drei Jahren nur noch mit minderer Kraft, weil dann die Abhängigkeit von Chips aus Taiwan nicht mehr so groß wäre.“ Japan werde die USA dabei mit Waffen unterstützen. Über die Spannungen in der Region hält Erb seit eineinhalb Jahren Vorträge, zu denen mehrere hundert Zuhörer gekommen sind.

Dass China die Wiedervereinigung mit Taiwan unbedingt wolle, sei  kein Geheimnis. Politiker und Medien sprächen vom „chinesischen Traum“, der in Erfüllung gehen solle. „Die Kommunistische Partei sagt ganz offen, es müsse eine Wiedervereinigung geben, und schließt militärische Mittel nicht aus“, weiß Erb. Und Staatspräsident Xi Jinpeng (69) wolle dieses Ziel noch zu seinen Lebzeiten erreichen und sich damit ein politisches Denkmal setzen. 2008 sei ein Gesetz erlassen worden, wonach China militärisch eingreifen muss, sollte Taiwan offiziell die Unabhängigkeit erklären.

Hohe Berge erschweren militärische Besetzung

Wenn es zu einem Angriff auf Taiwan kommt, müsse die Regierung in Peking nicht mit Widerstand in der eigenen Bevölkerung rechnen:  „Die Chinesen sind patriotisch.“ Angesichts der Kräfteverhältnisse (1,3 Milliarden Chinesen gegen 23 Millionen Taiwaner) sehe die Sache eindeutig aus, aber eine Besetzung der Insel sei nicht so einfach, erläutert Erb: „Dort gibt es mehr als 200 Berge, die über 3000 Meter hoch sind. Eine Gebirgskette zieht sich durch das ganze Land. “ Die Bevölkerung würde sich am Ende der Gewalt wohl fügen, aber die Besatzer nicht willkommenheißen. Die Taiwaner hätten die Demokratie schätzen gelernt und wollten nicht unter einer Ein-Parteien-Herrschaft leben.

Richard Erb

Welche Folgen hätte ein Krieg für Deutschland? „Kein Kühlschrank ohne Chips“, antwortet Erb mit einem Beispiel für die eklatante Abhängigkeit auch der deutschen Wirtschaft von Halbleitern. Außerdem kämen die Grundstoffe der pharmazeutischen Industrie aus China und Indien. Peking verfüge darüber hinaus bei den Seltenen Erden, die zum Beispiel für Handys gebraucht werden, über einen Anteil am Weltmarkt von 95 Prozent. Durch einen Krieg würden Lieferketten unterbrochen, und es werde sich die Frage stellen, inwieweit die in China stark vertretene deutsche Automobilindustrie dann überhaupt noch agieren könne. 

Xi Jinping beobachte genau, wie der Westen auf den Ukraine-Krieg reagiere, und vielleicht schrecke ihn das gemeinsame Auftreten von EU und Nato von einem ähnlichen Überfall (noch) ab. In Peking werde analysiert, an welchen Stellen China selbst von anderen abhängig ist. Im Ukraine-Krieg laviere sich China durch, ohne klar politisch Stellung zu beziehen, hat Erb beobachtet. Peking beziehe günstig Energie aus Russland, aus einem Land, das im Gegensatz zu früher zu einem Juniorpartner Chinas geworden sei.

Risiken auch für China

Ein Krieg mit dem Westen berge auch für China Risiken. Das Riesenreich sei auf Lebensmittelimporte wie Getreide, Soja und Fleisch angewiesen. Erb: „Die KP weiß, dass die chinesischen Kaiser immer dann gestürzt wurden, wenn die Menschen hungerten.“ Kontraproduktiv sei ein Krieg auch für den Handel über die neue Seidenstraße, weil durch ihn die Abnehmer chinesicher Produkte möglicherweise verärgert würden. 

Ende 2019 war Erb das letzte Mal in China und Taiwan. Vom 30. September bis 14. Oktober 2023 begleitet der Vorsitzende der heimischen Senioren-Union eine Reisegruppe aus Paderborn nach Taiwan. Maximal 30 Personen will er Landschaft und Kultur zeigen, das Interesse ist bereits groß. Erb fragt sich, wie oft er das noch machen kann – nicht wegen seines Alters von 73 Jahren, sondern wegen der brisanten politischen Situation.

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