Die Schau in der Städtischen Galerie in Schloß Neuhaus wird am 8. Februar wieder abgebaut
Die Ausstellung, die keiner sehen kann
Paderborn-Schloß ...
„Erweiterung der Möglichkeiten“ heißt die Ausstellung in der Städtischen Galerie in der Reithalle Schloß Neuhaus. Eine Erweiterung der Möglichkeiten, sie zu zeigen, würde sich Andrea Brockmann wünschen.
„ „Ich kann das noch gar nicht richtig verkraften“, sagt sie: „Dass man eine Ausstellung aufbaut und dann wieder abbaut, ohne dass Publikum da war, habe ich noch nie erlebt.“ Auf dieses „historische“ Erlebnis hätte die Leiterin der Städtischen Museen und Galerien allerdings gerne verzichtet: „Wir hatten das Licht ausgerichtet, die Objektbeschriftung gemacht – in der festen Überzeugung, wir zeigen die Ausstellung dem Publikum.“
Eigentlich sollte die Schau mit Werken der Künstlerinnen Beate Höing und Franziska Reinbothe am 29. November 2020 eröffnet werden. Dann wurde der Lockdown bis Ende des Monats verlängert. „Wir waren der festen Überzeugung, dass wir zum 1. Dezember aufmachen und zumindest die Tür öffnen können“, erzählt Andrea Brockmann.
Daraus wurde nichts, das Coronavirus nahm keine Rücksicht auf Kunst. Weil es weiter grassierte und die Einschränkungen für den Kulturbetrieb sich fortsetzten, schwankte Andrea Brockmann zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Sie hoffte auf Ende Dezember, auf den Januar und am Ende, dass sie die bis zum 7. Februar angesetzte Ausstellung vielleicht noch eine Woche im Februar zeigen könnte. Immer vergebens. Am 8. Februar wird „Erweiterung der Möglichkeiten“ nun wieder abgebaut; die Schau zu verlängern ist nicht möglich, weil die Städtische Galerie in der Reithalle vom 15. Februar bis 24. April wegen Umbauarbeiten geschlossen wird. So wird der Kassenbereich mit Museumsshop in die Mitte des Raumes verlegt und mit der Treppe verbunden, um mehr Ausstellungsfläche zu gewinnen.
Weil die Ausstellung nicht gezeigt werden konnte, sind Andrea Brockmann die Eintrittserlöse von 2,50 Euro pro Karte entgangen. 2000 bis 3000 Kunstfreunde waren eingeplant. Auch die Künstlerinnen Beate Höing aus Coesfeld und Franziska Reinbothe aus Leipzig konnten sich und ihre Arbeit nicht präsentieren. Das Ausstellungshonorar war da nur ein schwacher Trost. Andrea Brockmann: „Ich habe mich gefragt, wie ich sie unterstützen kann. Ich habe dann ein Faltblatt für und über jede Künstlerin gemacht, damit sie einen Beweis haben, dass es die Ausstellung wirklich gab.“
Für das Publikum, das nicht hinein durfte, wurde die Ausstellung fotografiert und ein Film produziert, der über die Seite der Städtischen Galerie abgerufen werden kann. Den Film sieht Andrea Brockmann mit zwiespältigen Gefühlen: „Er kann das mit dem Besuch einer Ausstellung verbundene Erlebnis nicht ausgleichen. Er ist ein Zeugnis und eine Informationsquelle, ein Beleg dafür, dass es die Ausstellung gab. Der Film rettet sie über die Zeit.“ Dass sich Kunstfreunde die Exponate nicht aus direkter Nähe anschauen können, ist auch deshalb ärgerlich, weil einige eigens für die Ausstellung in Schloß Neuhaus entstanden waren oder dort zum ersten Mal gezeigt werden sollten. So wie das großformatige, monochrome, von einem Kornblumenfeld inspirierte Bild der Malerin Franziska Reinbothe, dessen Leinwand in den Raum hineinragt. Die Künstlerin geht rabiat mit ihren Bildern um, knickt, zerschneidet, zerstört sie geradezu und macht aus ihnen so faszinierende Objekte. Erstmals in Paderborn wollte Beate Höing ihren aus blau-weißen Porzellanscherben zusammengesetzten Keramikteppich „Tree of life“ mit dem Motiv des Lebensbaumes zeigen. Ihre Perlenketten und Stelen bestehen aus Vasen vom Trödelmarkt, selbst modellierten Tonobjekten und kitschigen Figürchen. Dem vermeintlich Kitschigen verleiht sie durch das wiederkehrende Motiv des toten Vogels Ernst. Die Kombination zweier völlig unterschiedlicher Künstlerinnen hätte dem Publikum interessante Seherlebnisse beschert, aber die Pandemie ließ das nicht zu.
Ob sich das bis zum 25. April ändert? Dann soll in der Städtischen Galerie eine Ausstellung mit Werken des 2014 gestorbenen belgischen Künstlers Karel Dierickx eröffnet werden. Die stimmungsvolle, eher abstrakte Malerei mit figürlichen Andeutungen hätte ganz bestimmt viele Besucher verdient. Einen Steinwurf von der Galerie entfernt, im Kunstmuseum, läuft eine Ausstellung ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit. „Intermezzo #2: Künstlerinnen“ heißt sie und ist bis Ende April anberaumt. Dann wird sie abgebaut, um Platz für die Arbeiten der sich anschließenden Sommerakademie zu schaffen.
Aber bis dahin ist ja noch Zeit, und so wartet Andrea Brockmann darauf, dass sie die Tür zum Kunstmuseum öffnen darf. Ein Besuch würde sich nicht nur wegen der Bilder lohnen, sondern auch aufgrund eines verwunderlichen Umstands. Andrea Brockmann wollte wissen, wie viele der 2400 Werke der städtischen Sammlung von Künstlerinnen stammen. Sie fand heraus: „Nur 150 sind von Frauen, das sind sechs Prozent. Das hat mich erschüttert, und ich wollte diesen Tatbestand öffentlich machen.“ In der Ausstellung kombiniert sie 50 Werke aus der Sammlung, darunter Arbeiten von Käthe Kollwitz, Hannah Höch und der Paderbornerin Ella Bergmann-Michel, mit Exponaten der heimischen Künstlerinnen Dagmar Venus, Mona Schäfer, Nicci Tudorf und Christine Steuernagel. Die ausgestellten Werke stammen aus dem Zeitraum 1912 bis 2021 und können hoffentlich noch, anders als „Erweiterung der Möglichkeiten“, von Besuchern aus direkter Nähe betrachtet werden.
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