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 Der Fall Drewermann

Joseph Ratzinger als Glaubenshüter in Paderborn

Paderborn/Rom

Joseph Kardinal Ratzinger war, bevor er 2005 Papst wurde, regelmäßig Gast im Erzbistum Paderborn. Er begleitete Papst Johannes Paul II. auf dessen Deutschlandreise 1996 nach Paderborn und Berlin.

Von Reinhard Brockmann

WESTFALEN-BLATT-Redakteur Reinhard Brockmann sprach 1999 in Paderborn mit Joseph Kardinal Ratzinger.

Mitunter war Ratzinger in seiner Funktion als Chef der obersten Glaubensbehörde der römischen Weltkirche auch zu Arbeitsbesuchen im Erzbistum Paderborn, ohne dass das öffentlich wurde.

Drei sehr unterschiedliche Themen verbanden Paderborn mit Rom besonders: die Treffen von meist um die 40 Bischöfen aus aller Welt und der deutschen Bischofskonferenz am Rande des Libori-Festes. Noch häufiger zu Gast war Ratzingers engster Vertrauter und Geheimsekretär in der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre, der spätere Kurien-Bischof Josef Clemens. Er stammte aus dem Erzbistum.

Vor allem aber ließ die hartnäckige Vatikankritik des Paderborner Priesters Eugen Drewermann in den 1980er und 1990er Jahren die Drähte zwischen Rom und Paderborn glühen. Der Psychoanalytiker und erfolgreiche Autor populär-theologischer Bücher mit riesiger Anhängerschaft zwang die von Ratzinger mit strenger Hand geführte vatikanische Glaubensbehörde geradezu, sich mit Paderborn zu befassen. Aus römischer Sicht gab es damals nur zwei vergleichbare Fälle von Glaubensabweichungen in Kanada und Südamerika.

In den Medien galt die Affäre Drewermann als Gehorsamskonflikt zwischen einem katholischen Priester und seinem damaligen Ortsbischof. Johannes Joachim Kardinal Degenhardt stand in der Öffentlichkeit ziemlich allein da, was er intern beklagte. Unterstützende Stimmen aus Rom oder der theologischen Wissenschaft waren die Ausnahme. Weltweit wurde der Streit, der erst mit Drewermanns Kirchenaustritt 2005 endete, als erbitterte theologische Debatte wahrgenommen.

Können tiefenpsychologische Bibel-Deutungen die christliche Botschaft beeinflussen, womöglich verändern? Oder auch: Kann der Heilige Stuhl allein mit Autorität und unfehlbar bestimmen, wie Glaubensfragen zu beantworten sind?

Ratzingers Besuche in Paderborn oft erst später bekannt

Wann immer Ratzinger als oberster vatikanischer Glaubenswächter damals rund um den Domturm gesichtet wurde, waren die Journalisten bemüht, Informationen zu erhaschen. Angenehm waren ihm diese Fragen nicht. Oft war von Ratzingers Stippvisiten an der Pader erst im Nachhinein zu erfahren.

1999, nach zehn Jahren medialer Aufmerksamkeit, mehreren Titelgeschichten im Magazin „Der Spiegel“ und Drewermanns Suspendierung gelang es zwei Journalisten lokaler Medien dann doch noch, ein offizielles Interview mit Tonbandaufzeichnung zu führen. Die Ergebnisse waren allerdings relativ mager. Offizielle Po­sitionen wurden wiederholt, versöhnende Worte gab es nicht. Selbstkritische Reflexion hatte ohnehin niemand erwartet.

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