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Albert Baumhoer ist einzig verbliebener Orgelbaumeister im Kreis Paderborn – mit Video

Eine Königin findet ihren Meister

Salzkotten

Sie ist das lauteste und leiseste aller Instrumente, das größte und dasjenige mit dem vielfältigsten Tonspektrum. Und sie hat in Salzkotten-Thüle einen Verehrer, der ihr verfallen und gleichzeitig ihr Meister ist: die Orgel. Albert Baumhoer (61) ist der einzige Orgelbaumeister im Kreis Paderborn.

Marion Neesen

Albert Baumhoer testet den Klang einer der größeren Pfeifen der Mantinghäuser Orgel. Sechs Wochen lang dauert die Generalüberholung der Orgel. Foto: Jörn Hannemann

Für das Jahr 2021 haben die Landesmusikräte die Orgel zum Instrument des Jahres gekürt. Zu recht, wie Albert Baumhoer meint.

Wenn Baumhoer in seine Arbeit vertieft ist, vergisst er die Welt um sich herum. „Orgeln sind Zeitzeugen, jede kann eine Geschichte erzählen“, sagt der Thüler während er über Manual und Pedal die Pfeifen zum Klingen bringt. Ein tiefer Ton brummt durchs Mantinghäuser Kirchenschiff, das leise Zittern hört der Fachmann sofort. „Das ist Staub, der sich über in den Pfeifen ansammelt und Ton und Lautstärke verändert“, erklärt Baumhoer, der die Orgel der Pfarrkirche St. Antonius Einsiedler restauriert. Für ihn ist diese Orgel eine ganz besondere. Sie wurde in der Werkstatt der Rietberger Orgelbauer Speith gefertigt; dort, wo Albert Baumhoer 1974 in die Lehre ging. 1984 machte er seinen Meister in Ludwigsburg. Seit 1999 arbeitet er als Orgelbaumeister.

„Die Mantinghäuser ist eine rein pneumatische Orgel, davon gibt es nur noch wenige. Ein Vorkriegsmodell aus dem Jahre 1936. Damals hatte man nicht so viel Geld. Pfeifen aus Zinn-Blei-Legierungen waren unbezahlbar“, liefert er ein Beispiel dafür, dass Orgeln ein Spiegel ihrer Zeit sind.

Werkzeugkoffer, Schrauben, Zangen, Hämmer, Tücher, Lederstreifen und Putzlappen – die Orgelbühne ist zur Werkstatt geworden. Die etwa 700 Pfeifen waren vorübergehend ausgezogen, um sie in Baumhoers Werkstatt in Thüle zu reinigen. Auch das Orgelwerk und den Spieltisch hatte der 61-Jährige vor den Renovierungsarbeiten in der Kirche gesichert. Jetzt fügt er alles wieder zusammen, stellt das Instrument ein, klettert in den Turmraum und prüft mit dem Stimmhorn die Tonhöhe einzelner Pfeifen. „Ich arbeitet viel, oft bis in die Nacht, wenn ich einer Tücke des Instrumentes auf der Spur bin. Aber es gibt immer auch ein Erfolgserlebnis, wenn ich den Klang verbessern und das Instrument optimieren kann. Und abends bin ich meistens zufrieden“, beschreibt der Thüler die Faszination seiner Arbeit. Seit einigen Jahren hilft auch Ehefrau Birgit mit; etwa beim Stimmen oder wenn die kleinen Blasebälge aus Leder geklebt werden müssen.

Der Beruf des Orgelbauers vereint viele Facetten – von den Fähigkeiten eines Tischlers bis hin zum besonderen Gespür für die Musik. „Ein gutes Gehör und ein bisschen Ahnung von Musik sollte man schon haben“, so Baumhoer, der sich auch in der Geschichte der Königin der Instrumente und den verschiedenen Stilrichtungen gut auskennt. Die Entwicklung der pneumatischen Orgel fällt ins 19. Jahrhundert. In dieser Zeit nutzten die Orgelbauer den Orgelwind auch als Medium für die technische Steuerung der Tonventile vom Spieltisch zur Windlade mittels vieler dünner Bleiröhren, anstatt einer mechanischen Verbindung.

Die längste Pfeife in Mantinghausen ist 2,80 Meter und sorgt für den tiefsten Ton, die kürzeste nur zwei Zentimeter. Die Lautstärke lässt sich über drehbare Schwellklappen vor dem Turmraum, in dem die Pfeifen stehen, regulieren. Öffnet der Organist die Klappen per Fußtritt am Spieltisch, wird’s im Kirchenraum laut, sind sie geschlossen, ertönt das Kirchenlied entsprechend leise.

„Eigentlich ist die Orgel ein Blasinstrument, das aber mit Händen und Füßen gespielt wird und die ganze Bandbreite eines Orchesters bietet“, zollt Baumhoer der Orgel Respekt. Zahllose Orgeln hat er in seinen insgesamt 46 Berufsjahren schon restauriert, viele davon in der ehemaligen DDR. Das Höchste für jeden Orgelbauer ist jedoch, eine neue Orgel zu bauen. Sechsmal hat Baumhoer das bisher gemacht. „Was allerdings immer auch mit einem wirtschaftlichen Risiko verbunden ist“, sagt der 61-Jährige. Denn dafür muss er eine größere Werkstatt mieten und Kollegen einstellen.

Eine Orgel in der Größe der Mantinghäuser kostet zwischen 200.000 und 250.000 Euro. „Pro Register rechnet man mit 20.000 Euro“, sagt Baumhoer. 2015 hat der Thüler mit seinen Mitarbeitern eine große Orgel im Stile des berühmten deutschen Orgelbaumeisters Ernst Röver für die Christuskirche in Pinneberg gebaut. 12.000 Arbeitsstunden in zwei Jahren stecken in solch einer Orgel. Seit 2018 erklingt ein großes Instrument nach dem berühmten französischen Orgelbaumeister Aristide Cavaillé-Coll aus seiner Werkstatt in der Lüdenscheider Erlöserkirche. „Wenn die Orgel sonntags gespielt wird, kann ich dabei sein. Die Gottesdienste aus Lüdenscheid werden derzeit im Internet übertragen“, freut sich Baumhoer. Insgesamt sei der Orgelbau aber rückläufig.

Der Klimawandel setzt auch Orgeln zu. So heizt sich etwa der Turmraum in Mantinghausen, seit die Bäume gefällt wurden mächtig auf. Dann arbeitet das Holz, und das Instrument verändert sich. Auch Schimmel ist ein Problem. Gleichzeitig gibt es zu wenig Nachwuchs bei den Orgelbauern sowie den Organisten. „Es wäre schön, wenn sich junge Menschen wieder für Orgelmusik interessieren“, wünscht Paderborns einziger Orgelbaumeister „seinem“ Instrument eine lange Zukunft.

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