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18 Stunden im Wasser: Extremschwimmer André Wiersig schafft es als erster Mensch vom Festland bis zur Hochseeinsel

Paderborner schwimmt bis Helgoland

St. Peter-Ording/Paderborn

Er hat es geschafft: Der Paderborner André Wiersig ist als erster Mensch vom Festland bis Helgoland geschwommen. Damit hat er sich einen weiteren Eintrag in den Geschichtsbüchern gesichert. Es war allerdings ein schwieriges Unterfangen. Denn zwischendurch geriet er in eine starke Strömung.

Von Matthias Band

Ankunft nach etwas mehr als 18 Stunden: Als erstes nimmt André Wiersig seine Frau Beate in die Arme. Foto: Erik Eggers

„Als ich in St. Peter-Ording gestartet bin, waren die Bedingungen sehr widrig“, sagte Wiersig. „Wir hatten starken auflandigen Wind.“ Am Samstagmorgen gegen 7.30 Uhr sei er in die starke Strömung geraten. „Da kam ich stundenlang nicht von der Stelle.“ Es sei sehr schwer gewesen, das mental wegzustecken. „Aber ich habe keine Sekunde überlegt, aufzugeben.“ Es sei ein großartiges Erlebnis gewesen, die wilde Nordsee so intensiv zu erleben. Vom Empfang auf Helgoland zeigte Wiersig sich über­wältigt. Nach Angaben von Wiersigs Team waren etwa 200 Menschen zur Ankunft da, darunter seine Frau ­Beate und weitere Familienmitglieder.

„Ich empfinde große Dankbarkeit, dass ich das erleben durfte“, sagte Wiersig dieser Zeitung. „Für das gesamte Team freut es mich unglaublich, dass wir das geschafft haben. Wir haben wirklich super zusammengearbeitet.“ Es sei eine superschöne Erfahrung gewesen, auch wenn die Speiseröhre und die Zunge nun stark vom Salzwasser angegriffen seien. „Aber das kenne ich ja. In ein paar Tagen wird das wieder besser.“

Für die 48,5 Kilometer lange Strecke von St. Peter-Ording in Nordfriesland bis zur einzigen deutschen Hochseeinsel benötigte der 49-jährige Vertriebsleiter etwas mehr als 18 Stunden. Um 0.02 war er losgeschwommen. Um 18.16 ging er am Samstagabend auf Helgoland an Land.

Extremschwimmer André Wiersig – hier im Bademantel – feiert mit seiner Crew. Foto: Erik Eggers

Die ungewöhnliche Startzeit hat mit der Flut zu tun. Die erreichte kurz darauf ihren Höhepunkt, dann kommt das Wasser zur ­Ruhe. Die Wassertemperatur der Nordsee lag bei etwa 16 Grad. Bei seinem Start waren etwa 40 Fans dabei. Auf Facebook hatten ihn weitere hunderte Nutzer virtuell begleitet und angefeuert. Wiersigs Team informierte mit Fotos und Livevideos. Über einen GPS-Tracker konnte sein Schwimmfortschritt verfolgt werden.

Draußen auf dem Meer verschmelze er mit dem Element Wasser, sagte Wiersig. „Ich wollte die Nordsee, die eines der gefährlichsten Gewässer der Welt ist, unmittelbar erleben.“ Das sei ihm geglückt. Das Meeresleuchten in der Nacht zu erfahren, sei unbeschreiblich.

André Wiersig auf dem Weg nach Helgoland. Begleitet wurde er von Kajaks und einem Beiboot. Zum einen wurde kontrolliert, ob die Regeln eingehalten wurden, und so konnte er auch während des Schwimmens mit kalorienreicher Nahrung versorgt werden. Foto: Erik Eggers

Draußen auf dem Meer verschmelze er mit dem Element, sagte Wiersig. „Ich wollte die Nordsee, die eines der gefährlichsten Gewässer der Welt ist, unmittelbar erleben.“ Das sei ihm geglückt. Das Meeresleuchten in der Nacht zu erfahren, sei unbeschreiblich.

Die Idee, die Distanz nach Helgoland als Schwimmer zu überbrücken, entwickelte 1927 zuerst der Nordfriese Otto Kemmerich (1886-1952). Bis Samstag hatte jedoch kein Schwimmer diese Strecke geschafft. Für Wiersig, der sich als Sprecher der Meere sieht, geht es nach eigenen Angaben nicht um Einträge in Rekordlisten. „Ich liebe das Meer und sehe mich als Teil davon“, sagte er kürzlich im Gespräch mit dieser Zeitung. „Ich sehe meine Aufgabe darin, zu erzählen, wie es dort draußen ist.“ Für den Paderborner ist das Extremschwimmen längst nicht mehr nur Sport, sondern auch umweltpolitisches Engagement.

Das Helgoland-Projekt fand im Rahmen der gerade begonnenen „Ocean Decade“ der Unesco statt. „Die Ocean Decade hat die nachhaltige Forschung zum Schutz der Ozeane im Blick“, erklärt Wiersig.

Auf der Strecke nach Helgoland schwamm der Paderborner nach den traditionellen Regeln der englischen Channel Swim Association (CSA), die seit 1927 das Ärmelkanalschwimmen organisiert. Demnach durfte er lediglich Badehose und Schwimmbrille tragen und sich zu keiner Zeit an einem Boot festhalten oder Hilfe annehmen. Ein Offizieller des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) an Bord des Begleitschiffes, das die Navigation sicherstellte, achtete auf die Einhaltung der Regeln.

Kurz vor dem Start in St. Peter-Ording: André Wiersig mit seinem Begleiter Jürgen Peters (links). Foto: Erik Eggers

Eskortiert wurde der Schwimmer außerdem von seinem Schwager Jürgen ­Peters, der ihm von einem ­Kajak hochkalorienreiche Nahrung anreichte und ein Auge auf die Sicherheit hatte. Gemeinsam mit seinem Partner hat Wiersig als erster Deutscher und 16. Mensch die Ocean’s Seven komplettiert. Diese anspruchsvollste Herausforderung des Freiwasserschwimmens orientiert sich an den sogenannten Seven Summits im Extrem-Bergsteigen. Nach der erfolgreichen Querung des Ärmelkanals (2014) durchschwamm Wiersig auch den 42 Kilometer breiten Kaiwi-Channel vor Hawaii (2015), den kalten North Channel vor Schottland (2016), den Catalina-Channel vor Los Angeles (2017), die stürmische Tsugaru-Straße in Japan (2018) und schließlich auch die stürmische Cook Strait in Neuseeland und die Straße von Gibraltar (2019). „Nachts allein im Ozean“ heißt das Buch, in dem André Wiersig seine außergewöhnlichen Abenteuer schildert.

Sämtliche Meerengen meisterte er im ersten Versuch – als bisher einziger aller 21 Ocean’s Seven-Finisher. Was treibt ihn an? „Nirgends kann man den Meeren näher sein als dort, weit draußen, nur in Badehose und Schwimmbrille, puristisch“, sagt der Botschafter der deutschen Meeresstiftung. „Wo Jahrmillionen alte Gesetze gelten, bin ich gerne zu Gast.“

Was sein nächstes Projekt werden wird, weiß der Paderborner noch nicht. Wiersig: „Ich muss das Ganze erst einmal verarbeiten und genießen. Dann schauen wir mal.“

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