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Sonntag wird in Detmold das Jubiläum „900 Jahre Lippe“ mit dem Bundespräsidenten gefeiert

Prinz zur Lippe: „Ich empfinde Stolz und Demut“

Detmold

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird der Festredner sein, wenn an diesem Sonntag in Detmold das Jubiläum „900 Jahre Lippe/50 Jahre Kreis Lippe“ gefeiert wird. Stephan Prinz zur Lippe (63) ist das Oberhaupt des Hochadelsgeschlechts. Hier blickt er zurück – und nach vorne. 

Von Christian Althoff

Rechtsanwalt und Schlossherr Stephan Prinz zur Lippe mit seinem Schweizer Niederlaufhund „Alfons“ vor einem Gemälde, das seine Großmutter zeigt. Foto: Althoff

Was macht einen Lipper aus?

Es gibt ja anekdotenhaft zugeschriebene Eigenschaften wie Sparsamkeit, Treue und Heimatverbundenheit. Ich würde schon sagen, dass Sparsamkeit eine Eigenschaft ist. Lippe ist wie viele Gegenden in Deutschland nicht mit Bodenschätzen oder fruchtbaren Äckern gesegnet und deshalb eher arm. Die Menschen hier wurden immer zur Bescheidenheit erzogen, und wer es zu etwas gebracht hatte, protzte nicht damit. Das finde ich sehr angenehm.

Die wenigsten können wie Sie auf 900 Jahre dokumentierte Familiengeschichte zurückblicken. Was bedeutet das für Sie?

Ich empfinde eine Mischung aus Stolz und Demut. 900 Jahre klingt lange, aber mein Vater wurde 90, und meine am Samstag verstorbene Mutter 98. Ihre Generation macht damit schon zehn Prozent der Familiengeschichte aus. Andererseits ist natürlich unglaublich viel passiert in unserer Historie, vom Mittelalter über die Reformation und den Absolutismus bis heute – da wurde die Welt dreimal auf den Kopf gestellt. Diese Entwicklungen anhand der eigenen Familie nachvollziehen zu können, ist ein Privileg, für das ich Demut empfinde. Eine Lehre, die ich aus der langen Familiengeschichte ziehe, ist, sich nicht so wichtig zu nehmen.

Wie haben sich die Grenzen des Fürstentums im Laufe der Jahrhunderte verändert?

Erstaunlich wenig. Die Keimzelle der Familie lag bei Lippstadt, aber dann ist das Geschlecht auf die andere Seite des Teutoburger Waldes gezogen und hat etwa ab 1200 die Falkenburg in Detmold gebaut. Der heutige Kreis Lippe entspricht in etwa den damaligen Grenzen der Grafschaft Lippe und des späteren Fürstentums. Das führt heute noch zu einer großen Identifikation der Lipper mit ihrer Heimat. Nordrhein-Westfalen besteht aus sehr vielen Regionen, wie dem Münsterland, dem Siegerland oder dem Ruhrgebiet. Aber keine Region hat eine staatliche Geschichte, so wie Lippe.

Gibt es Vorbilder unter Ihren Ahnen?

Da fällt mir natürlich sofort Fürstin Pauline ein. Eine sehr moderne Frau, die außenpolitisch und sozial eine Vordenkerin und Vorreiterin war. Aber es gibt noch weitere bedeutende Frauen, die mich faszinieren.

Am vergangenen Samstag starb Traute Prinzessin zur Lippe mit 98 Jahren. Ihr Sarg steht in der Schlosskapelle. Das Foto neben dem Sarg entstand fünf Tage vor dem Tod der promovierten Biologin. Foto: Althoff

Gibt es auch ein Schwarzes Schaf?

Ich mag die Bezeichnung nicht. Ich würde eher von unglücklich Handelnden sprechen, wie Leopold III., ein Enkel Paulines. Er war sehr konservativ und wollte den Demokratisierungsprozess zurückdrehen. Er hat die Verfassung außer Kraft gesetzt, die seine Großmutter entwickelt hatte.

Haben Sie eine Ahnung, was es für Ihren Großvater bedeutet hat, nach 1918 zwar noch materielle Güter, aber keine Macht mehr zu besitzen?

Zum Glück sind seine Tagebücher erhalten, und zwar lückenlos von 1900 bis 1949. Die Eintragungen enden erst fünf Tage vor seinem Tod. Wenn ich zwischen den Zeilen lese, habe ich den Eindruck, dass die Abschaffung des Adelsstands für ihn vielleicht sogar befreiend war. Es scheint, als habe er es begrüßt, die Last der Verantwortung nicht mehr tragen zu müssen. Aber klare Aussagen dazu habe ich bisher nicht entdeckt.

Die Einträge in den Tagebüchern reichen von seinen Zahnschmerzen bis zur Weltpolitik. Manche Nebensächlichkeiten sind überraschend und interessant. So hat er seine Zahnschmerzen Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin behandeln lassen – und zwar von einer Zahnärztin, was damals sicherlich ungewöhnlich war.

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie in der 28. Generation?

Es geht darum, der Familientradition einen modernen Inhalt zu geben und die Zukunft zu sichern. Es geht zum Teil um ganz profane Fragen: Wie unterhalten wir das Schloss weiter? Wie heizen wir es?

Jahrhundertelang hat meine Familie von ihren Wäldern gelebt, aber diese Einnahmen brechen gerade weg. Durch den Klimawandel wurden in den letzten Jahren schon 40 Prozent der Bäume zerstört – fast der gesamte Fichtenbestand. Aber auch den Laubbäumen macht das Wetter zu schaffen. Die Natur hat zwar enorme Selbstheilungskräfte: Auf den zerstörten Flächen wächst schon wieder sehr viel – aber leider wieder Fichten, die keine Zukunft haben werden. Ich möchte deshalb auf diesen Flächen im Teutoburger Wald Windräder bauen.

Soll die Windkraft den Wald als Einnahmequelle ablösen?

Ja, so ist das gedacht. Die auf dem Kamm des Teuto geplanten 13 Windräder, deren Bau zur Zeit von den britischen Streitkräften blockiert wird, hätten eine installierte Leistung von 220 Millionen Kilowatt. Weil da oben wie an der Küste ständig Wind weht, ist das zugleich der erwartete Ertrag. Wir könnten etwa 60.000 Haushalte mit Strom versorgen.

Nicht nur die Briten stellen sich quer, auch Anwohner protestieren.

Und das kann ich bis zu einem gewissen Grad sogar verstehen. Der Teuto ist nicht irgendein Wald. Hier hat zwar nicht die Varusschlacht stattgefunden, aber wir haben das Hermannsdenkmal, und Karl der Große hat hier gegen die Sachsen gekämpft. Der Teutoburger Wald hat schon einen gewissen Nimbus, aber den können wir uns nicht mehr leisten. Nachdem die Politik die Atomkraft abgeschafft hat, müssen wir mit alternativen Methoden Strom gewinnen.

Ich fahre gerne durch Frankreich und sehe vielerorts wegen der dortigen Atomkraftwerke eine unberührte Natur, die durch kein Windkraftrad gestört ist. Das ist schön, aber dahin werden wir in Deutschland nicht zurückkehren können. Wir brauchen Windräder, und wir werden uns immer mehr an sie gewöhnen.

Ist das ein Thema, das auch Ihre Kinder umtreibt?

Die sind zwar nicht bei Fridays for Future unterwegs, aber wir diskutieren viel, und sie sehen die unbedingte Notwendigkeit, regenerative Energien zu nutzen. Wir haben gerade im Garten hinter dem Schloss eine 70-Kilowatt-Solaranlage errichtet und würden noch mehr tun, wenn nicht bei vielen Gebäuden der Denkmalschutz dagegenstünde.

Wäre Photovoltaik auch etwa für die zerstörten Flächen im Wald?

Nein. Um annähernd soviel Strom zu erzeugen, wie nur ein Windrad liefert, müssten riesige Flächen entwaldet werden. Das will ich nicht. Im Gegenteil. Ich möchte die Einnahmen aus dem Windstrom auch nutzen, um den Wald umzubauen und nicht mehr so viel Holz ernten zu müssen.

Freuen Sie sich auf die Feierstunde am Sonntag?

Sehr! Es ist eine besondere Ehre, dass das Land Nordrhein-Westfalen das Thema aufgegriffen hat und auch der Bundespräsident zu den Feierlichkeiten ins Lippische Landestheater kommen wird. Leider ist schlechtes Wetter angesagt.

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