Tag 43 im »Horror-Haus«-Prozess
Ex-Geliebte sagt aus: »Unberechenbar ist der«
Paderborn/Höxter (WB). Sie saß vor 23 Jahren mit Wilfried W. auf der Anklagebank. Am 43. Verhandlungstag sagt nun seine Ex-Geliebte als Zeugin im »Horror-Haus«-Prozess aus.
Wilfried W. soll mit seiner damaligen Geliebten seine damalige erste Ehefrau eingesperrt, gefoltert und sexuell missbraucht haben. Während er 1995 wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde, erhielt sie eine Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung und Beihilfe.
Um 14.15 Uhr betritt die Zeugin den Gerichtssaal, sie hat ihren Kapuzenpulli tief ins Gesicht gezogen und verbirgt ihr Gesicht hinter einer Sonnenbrille.
»Ich möchte mich an diese Zeit nicht mehr erinnern«
Vor etwa zwei Jahren sei sie von der Kripo nach Bekanntwerden des Falls aufgesucht worden, schildert der vorsitzende Richter Bernd Emminghaus. Damals habe sie mitgeteilt, dass sie mit diesen Dingen nichts mehr zu tun haben wolle. »Das ist so lange her, ich habe da eigentlich keine Erinnerung mehr dran«, sagt sie. Damals hatten sie und Wilfried W. bestritten, die Taten begangen zu haben. Genaue Angaben könne sie nicht machen.
»Ich möchte mich an diese Zeit nicht mehr erinnern«, sagt sie. Es sei die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen.
»Hat es mal Schläge gegeben?«, möchte Emminghaus wissen. »Bestimmt, aber wie und warum kriege ich nicht mehr zusammen.« Im Gespräch mit der Kripo habe sie zugegeben, dass es auch ihr gegenüber zu Gewalt gekommen sei. Dies bestätigt die Zeugin mit einem knappen Ja.
Über das Kennenlernen mit Wilfried W.: »Es kann eine Anzeige gewesen sein oder wir haben uns in der Stadt getroffen. Aber ich krieg es nicht mehr auf die Reihe.«
»Ich weiß es nicht«
Gutachterin Dr. Nahlah Saimeh möchte wissen, an was sie sich konkret erinnern könne. Sie habe über mehrere Jahre viele Schulden abzahlen müssen, und sich zurück ins Leben kämpfen müssen. Saimeh erklärt: Die Erinnerungen der Zeugin können Einblicke geben in das Zusammenleben damals. (Anmerkung: Wilfried W., die Zeugin und das damalige Opfer haben zeitweise zusammen gelebt.)
»Warum war diese Lebensphase so schlimm? Hat das etwas mit dem Herrn W. zu tun?«, fragt Dr. Saimeh. Auch darauf findet die Zeugin keine Antwort. Ebenso auf die Fragen, wer die Beziehung beendet habe, wann sie in ihrer erste eigene Wohnung gezogen sei, wie ihre Eltern Wilfried W. als Lebenspartner ihrer Tochter fanden. »Ich weiß es nicht«, wiederholt die Zeugin immer wieder.
»Gibt es etwas, dass Ihnen so peinlich ist, dass sie darüber nicht reden, aber sich zumindest dran erinnern können?«, versucht Saimeh es erneut. Dies verneint die Zeugin. »Gerade weil es so schrecklich war, müsste es eigentlich in Erinnerung geblieben sein«, sagt Saimeh.
Mit Blick auf die Verurteilung von vor 23 Jahren sagt die Zeugin: »Ich habe meine Strafe verbüßt und jetzt möchte ich damit nichts zu tun haben.« Bernd Emminghaus möchte aber zumindest eine Einordnung, ob sie der Verurteilung rückblickend zustimmen könnte. »Das ist Vergangenheit!«, so die Zeugin. Unterlagen von damals besäße sie nicht mehr.
Früher habe sie zu allem Ja und Amen gesagt, heute sei sie eine Kämpferin, die auch anderen die Meinung sagen würde.
»Es gäbe eine Vielzahl von Fragen, aber das ist hier wohl nicht zielführend«, gibt Saimeh auf.
Blick ins Urteil
Peter Wüller, Anwalt von Angelika W., die heute mit Wilfried W. auf der Anklagebank sitzt, übernimmt das Wort. Er gehe davon aus, dass die Zeugin nicht die Wahrheit sage. Deshalb will er sich direkt auf die Urteilsbegründung von 1995 berufen. Wie oft habe sie in ihrem Leben vor Gericht gestanden, möchte er wissen. Ob sie irgendeine Erinnerung daran habe, dass sie gemeinsam mit Wilfried W. vor Gericht gestanden habe. »1994/95«, sagt die Zeugin.
»Können Sie sich daran erinnern, was man ihnen vorgeworfen hat?« - »Körperverletzung war's.«
»Sagt Ihnen der Name (des Opfers) etwas?« Keine Antwort.
Staatsanwalt Ralf Meyer schaltet sich ein: »Sie haben die Pflicht hier aussagen. Hier glaubt Ihnen keiner im Gerichtssaal, am allerwenigsten ich.« Sonst sehe er keine andere Wahl, als sie wegen Falschaussage zu belangen. Die Verhandlung wird für einen Moment unterbrochen.
Neuer Versuch
Dann geht es mit einem neuen Versuch von Gutachterin Dr. Nahlah Saimeh weiter: War der Grund für die Trennung von Wilfried W., dass sie, die Zeugin, mehr Zeit mit ihrer Mutter verbringen wollte? Dies habe Wilfried W. ihr aus seinen Erinnerungen mitgeteilt. Eine direkte Antwort gibt die Zeugin aber nicht.
Ob es sie geärgert habe, dass er nach ihrer Trennung so schnell geheiratet habe? Sie sei kein eifersüchtiger Typ, erwidert die Zeugin. An das Aussehen des Opfers kann sie sich aber nach mehrmaligen Fragen erinnern. Ob es Streitigkeiten gegeben habe, zwischen ihr und dem Opfer, darauf gibt es keine Antwort.
Saimeh möchte wissen, ob sie sich erinnern kann, das Opfer in den Kofferraum eines Autos gesperrt zu haben. »Da war was«, gibt die Zeugin zögerlich zu. Wessen Idee das gewesen sei? Das bleibt unbeantwortet von der Zeugin.
»Können Sie sich daran erinnern, dass Wilfried W. nervös mit den Augen geklimpert hat?«, fragt Saimeh. «Das hat er oft getan.« Wenn er sauer gewesen sei, sei dies vorgekommen. Dies sei vorgekommen, wenn man mit einem anderen Mann gesprochen habe.
»Wird der dann gewalttätig?« Pause. »Ja.«
»Unberechenbar ist der«
»Was für Regeln gab es?« Die Zeugin zögert. Dann: »Es musste immer alles so sein, wie er es wollte.« Als Beispiel nannte sie das Kochen. Wenn man vom Kochplan abgewichen sei, sei er wütend geworden. »Erst hat er geschrien und dann den Arm umgedreht.« Das sei der Grund, weshalb sie sich nicht an die Zeit erinnern wolle. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, berichtet die Zeugin, dass sie Knochenbrüche in den Fingern davongetragen hätte.
In anderen Situationen habe der Angeklagte sie auch gewürgt. »Manchmal hatte man das Gefühl, gleich ist es vorbei.«
»Er hat einen hörig gemacht. Das würde ich heute nie mehr mit mir machen lassen«, bricht es aus der Zeugin heraus.
Warum sie trotzdem bei ihm geblieben sei? »Die Polizei macht erst was, wenn es zu spät ist. Ich weiß wie deine Eltern arbeiten.« Das habe sie oft von ihm gehört. Er habe ihr Angst gemacht. »Unberechenbar ist der.« Es sei ein Auf und ein Ab gewesen. Wilfried W. habe ihr nach der Trennung vor ihrer Wohnung aufgelauert.
Thema Finanzen: Saimeh möchte wissen, ob W. auch Geld von ihr haben wollte. Dies bestätigt die Zeugin. Er habe über ihr gesamtes Gehalt verfügen wollen. Weil sie beide davon leben müssten. Er selbst habe nicht gearbeitet. »Er hat es nirgendwo lange ausgehalten.« Sie habe auch wegen ihm Arbeitsstellen verloren, weil er dort immer aufgetaucht sei.
»Deshalb ist das ja so gekommen«
Das Zusammenleben mit der damaligen ersten Frau und Wilfried W. habe sie nicht freiwillig gemacht. Er habe ihr aufgelauert, sie zum Auto gezerrt worden und dann bei dem Ehepaar einquartiert. »Die Fenster waren alle dicht.« Im Flur habe ständig ein Schäferhund gesessen, vor dem sie Angst gehabt habe. Er habe ihr angedroht, den Hund auf sie zu hetzen.
Auch die Ehefrau sei von Wilfried W. geschlagen worden. Sie habe sich schließlich an dem »Piesacken« (Saimeh) des Opfers beteiligt, damit er ihr nichts tue. »Deshalb ist das ja so gekommen.«
Auch habe er seine damalige erste Frau über Nacht angekettet. »Ich kann mir das dann so vorstellen, dass man dann froh ist, nicht selbst die Angekettete zu sein, oder?« - »Ja.« Auf Nachfrage von Anwalt Peter Wüller bestätigt sie, dass sie sich an den Misshandlungen beteiligt habe. »Bevor man es selber abkriegt...«
So geht es weiter:
Der Prozess wird am 10. April fortgesetzt - und wohl auch noch mindestens bis Juni dauern. Dann soll das Gutachten von Dr. Saimeh zum Angeklagten fertig sein.
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