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Diplom-Physiker und Kabarettist veröffentlicht „Lichtblick statt Blackout“

Vince Ebert: „Wind und Sonne sind einfach nicht grundlastfähig“

Bielefeld

Vince Ebert (54) ist der Erfinder des Wissenschaftskabaretts. Seit seinem Programm „Urknaller – Physik ist sexy“ und den Auftritten bei „Wissen vor acht“ im Ersten zählt er zu den Besten in der unterhaltenden Erkenntnisvermittlung. In seinem neuen Buch „Lichtblick statt Blackout“ nimmt er sich die sogenannte Energiewende vor.

Ein Interview von Andreas Schnadwinkel

Lässt sich mit Energie aus Wind und Sonne ein Land mit 84 Millionen Bewohnern mit Strom versorgen? Foto: Andreas Schnadwinkel

Physiker und Kabarettist: Das ist in Zeiten der sogenannten Energiewende keine schlechte Kombination. Wie blicken Sie auf das, was in diesem Land gerade vor sich geht?
Vince Ebert: Nach dem von Angela Merkel durchgesetzten Atomausstieg nach Fukushima habe ich für „Die Welt“ einen Beitrag geschrieben, den ich jetzt nochmal gelesen habe. Damals habe ich mit meinen Bedenken schon das vorweggenommen, was heute eingetreten ist. Nämlich: Wenn wir das tun, laufen wir in eine Sackgasse in der Energieversorgung. Das ist nun mit zehn Jahren Verzögerung passiert. Natürlich neigen wir dazu, Putin allein für diese Situation verantwortlich zu machen. Aber die Fehler haben wir früher gemacht. Das ist das eigentlich Tragische.

„Wir müssen wieder technologieoffener werden“

Trotzdem ist „Lichtblick statt Blackout“ ein optimistisches Buch, oder?
Ebert: Ja. Wir haben hervorragende Wissenschaftler und Ingenieure, einen großen Grundstock von cleveren Leuten. Viele von denen fühlen sich in ihrem Wirken aber erdrückt von politischen Fehlentscheidungen, Reglementierungen und Verboten. Auch deswegen habe ich dieses Buch geschrieben, denn das müssen wir aufbrechen. Wir müssen wieder technologieoffener werden. Und zwar in allen Bereichen. Wenn das nicht passiert, manövrieren wir uns noch tiefer in einen Tunnel.

In Ihrem Buch „Lichtblick statt Blackout“ befassen Sie sich auch mit dem „Club of Rome“, der genau vor 50 Jahren „Die Grenzen des Wachstums“ postulierte. Mit ihren Vorhersagen lagen die selbsternannten Planetenretter ziemlich daneben. Warum glauben manche Leute trotzdem noch daran?
Ebert: Weil es im ersten Moment plausibel klingt, dass wir begrenzte Ressourcen haben, die irgendwann mal weg sind. Das berührt in uns eine Ur-Angst. Wenn man sich jedoch die Geschichte von Innovationen und Technologiesprüngen ansieht, dann liefen die immer so ab, dass eine Ressourcenknappheit durch eine Innovation komplett gelöst werden konnte. Weil uns Menschen immer etwas Cleveres einfällt, wird es auch in Zukunft keine Knappheit der Ressourcen geben.

Was man von Wal-Tran lernen kann

An welches Beispiel denken Sie da?
Ebert: Vor 150 Jahren war Wal-Tran einer der wichtigsten Rohstoffe für die aufstrebende Industriegesellschaft, zum Beispiel als Schmiermittel. Die Preise für Wal-Öl waren hoch und die Pottwale fast ausgerottet. Und dann hat ein Engländer ein Verfahren entdeckt, um aus Ölschiefer Petroleum herzustellen. Durch diese Innovation war Wal-Tran von jetzt auf gleich praktisch wertlos. Wenn man im 18. Jahrhundert einem Gelehrten gesagt hätte, dass im Jahr 2022 acht Milliarden Menschen mit Nahrung und Energie versorgt werden können und dafür nur zwei Prozent der Weltbevölkerung nötig sind, hätte dieser Gelehrte einen für verrückt erklärt. Weil er sich diese Technologiesprünge natürlich nicht vorstellen konnte. Und genau in diese Falle ist 1972 der „Club of Rome“ getappt, weil er die Rohstoffverbräuche der Vergangenheit an den Anfang seiner Studie gestellt und gesagt hat: Wenn das so weitergeht, ist irgendwann alles erschöpft. Aber so funktioniert Innovation gerade nicht. Das war ein klassischer Denkfehler, der heute noch rauf und runter gebetet wird. Die Leute waren keinesfalls dumm, aber ihr Prognosemodell war ungeeignet. In der Wissenschaft ist Wissen nur vorläufig. Man muss auch die Größe haben zu sagen, dass man sich geirrt hat.

Diplom-Physiker und Kabarettist Vince Ebert. Foto: Frank Eidel

Manche haben den Eindruck, dass es den Grünen gar nicht darum geht, ausreichend Energie zur Verfügung zu stellen, sondern um die Umerziehung der Bevölkerung durch Energiemangel. Könnte da was dran sein?
Ebert: Wenn ich auch im Buch von einem „grünen Tunnelblick“ spreche, dann meine ich das parteiübergreifend. Grün im Sinne von ökologischer Wende. Auch viele Wirtschaftsmanager sprechen mittlerweile so. Sehr viele Leute haben sich in ein ideologisches Gedankenkonstrukt geflüchtet. Es gibt diese psychologischen Mechanismen von kognitiver Dissonanz, Gruppendenken und Mitläufertum. Wir sind alles eitle Menschen, und es fällt uns sehr, sehr schwer, uns hinzustellen und zu sagen: Wir haben uns geirrt und müssen neu denken. Und wenn ein Top-Manager seit 15 Jahren zu jeder Aktionärsversammlung eine Nachhaltigkeitsbroschüre drucken lässt, dann verliert er sein Gesicht, wenn er einen Irrtum zugibt. Die politisch gewollte Energiewende führt direkt in die Energieknappheit, weil Energie aus Wind und Sonne nicht grundlastfähig ist.

„Gegner der erneuerbaren Energie? Das ist totaler Quatsch“

Warum sollen die erneuerbaren Energien trotzdem ausgebaut werden?
Ebert: Manche behaupten, ich sei ein Gegner der erneuerbaren Energie. Das ist totaler Quatsch. Es spricht viel dafür, als Haushalt energieautark zu werden, um ein Elektroauto und eine Wärmepumpe zu betreiben. Als eine Industrienation hat Deutschland mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern eine Grundlast, also einen Strombedarf, der immer da ist, Tag und Nacht. Dieser Bedarf liegt derzeit bei etwa 40 Gigawatt. Das Problem bei Wind und Sonne ist, dass sie einfach nicht grundlastfähig sind. Bei Flaute und Dunkelheit können sie keinen Strom produzieren. Und es gibt noch keine Energiespeichersysteme im Terawattstunden-Bereich. Das sind Größenordnungen, die wir bräuchten, um das zu puffern.

Wie viel Energie lässt sich speichern?
Ebert: Pumpspeicherkraftwerke sind derzeit die einzige Technologie, mit der man einigermaßen viel Energie speichern kann. Aber auch das sind nur Gigawattstunden, die den Strombedarf Deutschlands für nur 40 Minuten sicherstellen können. Und dann ist Feierabend. Wir brauchen in Deutschland pro Tag 1,4 Terawattstunden. Und wenn wir Elektromobilität wollen, dann brauchen wir in Zukunft noch viel mehr. Bisher gibt es technisch überhaupt noch keine Idee, wie man Energiespeicher in Terawattstunden herstellen kann. Die gibt es noch nicht, obwohl sich natürlich viele kluge Leute damit befassen.

„Die finnischen Grünen sind für Kernenergie“

Warum ist es in Deutschland möglich, dass ein kleiner harter Kern alter Anti-Atomkraft-Aktivisten verhindern kann, dass klimaneutrale Kernkraftwerke weiterlaufen. Ist das die deutsche Naturromantik?
Ebert: Permanent wird von „Follow the Science“ geredet, „Folge der Wissenschaft“. Und dann sagt der Weltklimarat, dass Kernenergie die Technologie ist, mit der wir effektiv die CO₂-Emissionen reduzieren können. Und dann sagen dieselben Leute, die immer auf „Follow the Science“ po­chen: Nö, wir folgen der Wissenschaft nur, wenn sie uns in den Kram passt. Wissenschaft gibt es aber nur als Gesamtkonzept. Das ist kein Buffet, an dem man sich die Häppchen aussucht – man muss alles essen. Wir sind die einzige Industrienation, in der diese Debatte so heftig und so emotional geführt wird. Die finnischen Grünen sind für Kernenergie. Das zeigt, dass die grüne Bewegung in anderen Ländern in der Lage ist, sich der Wirklichkeit anzupassen und pragmatische Wege zu finden. Es geht nicht darum zu sagen, dass Kernenergie perfekt, vollkommen und risikoarm ist. Doch wir müssen pragmatische Lösungen finden, und das funktioniert nicht, wenn wir die Sache ideologisch betrachten.

Nichts ist globaler als der Klimaschutz. Woher kommt dann dieser deutsche Klima-Nationalismus? Geht es vielleicht gar nicht ums Klima, sondern um den Umbau der Gesellschaftsordnung, wie man bei den Aktionen von „Die letzte Generation“ und „Extinction Rebellion“ sehen kann?
Ebert: Wir wollen zu den Guten gehören, und wir wollen von den Guten die Besten sein. Das ist diese Verbindung aus deutschem Perfektionismus und deutscher Romantik. Wenn wir mal auf den Trichter gekommen sind, wie wir etwas machen wollen, dann ziehen wir das bis zum Schluss durch. Auch, wenn es sich auf halbem Weg als Irrtum erweist. Das ist absurd. Im Buch lege ich den Unterschied zwischen Klimaschutz und Umweltschutz dar. Umweltschutz ist relativ einfach. Man hat einen verschmutzten Fluss, baut ein Klärwerk oder verhängt Auflagen gegen den Verursacher. Dann ist der Fluss sauber. Umweltschutz ist eine regionale Angelegenheit, denn man hat einen speziellen Giftstoff in einem bestimmten Fluss oder Wald und will das Problem lösen. Fünf Jahrzehnte Umweltschutz in Deutschland und Westeuropa sind eine unfassbare Erfolgsgeschichte.

Und beim Klimaschutz?
Ebert: Beim Klimaschutz ist das grundsätzliche Pro­blem, dass man CO₂ entweder global löst oder überhaupt nicht. Während wir die Emissionen etwas reduzieren, fahren die Schwellenländer, die am Wohlstand geschnuppert haben, die Emissionen hoch. Das ist das Dilemma, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Aber das tun wir nicht. Wir stellen uns hin, stampfen trotzig mit dem Fuß auf uns sagen: Aber wir reduzieren. Das ist eine rituelle Handlung, die kein einziges Problem löst. Wenn wir den Verbrenner verbieten, bauen ihn die Chinesen. Mit unserem Verhalten lösen wir das Problem nicht, wir verlagern es nur.

Gewichtet der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk aus politischen Gründen Klimathemen zu stark?
Ebert: Mich stört an der Wissenschaftskommunikation, dass Fakten und Meinungen immer mehr vermischt werden. Vor 20 Jahren hat sich ein Journalist vor die Kamera gestellt und den Leuten erklärt, wie Nahrungsmittel hergestellt werden oder ein Kohlekraftwerk funktioniert. Heute ist jedes Thema mit einer Mahnung, mit einer Warnung versehen und weltanschaulich aufgeheizt. Da wird politischer Aktivismus mit Wissenschaft verknüpft, das stört mich sehr. Wissenschaft ist wertfrei. Ein Kernphysiker rechnet aus, wie viel Energie durch eine Kernspaltung freigesetzt wird. Aber er macht keine Aussage darüber, ob Kernenergie gut oder böse ist. Die Wissenschaft muss aufpassen, dass sie sich nicht für politische Zwecke missbrauchen lässt. Sonst lehnen große Teile der Bevölkerung die Wissenschaft als Ganzes ab, und das wäre fatal.

In Deutschland wird stets moralisiert, es gibt gute und böse Energie. Sie befassen sich ausschließlich sachlich mit Energiefragen. Macht Rationalität schon verdächtig, weil man das Lied der Erneuerbaren Energie aus wissenschaftlichen Gründen nicht mitsingt?
Ebert: Im Buch zitiere ich aus dem Weltklimabericht, in dem die Begriffe „Apokalypse“ und „Klimakatastrophe“ nicht vorkommen. Die Berichte beschreiben natürlich, dass der Klimawandel zu Problemen führt. Aber da ist in keiner Weise von einem „Mad Max“-Szenario die Rede. Das ist das Gegenteil von dem, was viele Leute von „Fridays for Future“ sagen. Das Absurde daran ist, dass die Randgruppen, also die radikalen Klimaschützer und die radikalen Klimawandelleugner, kein Interesse an Wissenschaft haben. Mit dem Buch versuche ich eine Debatte anzustoßen, in der Hoffnung, dass man sich wieder zusammensetzt und über pragmatische Lösungen nachdenkt.

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