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Kommentar zum Zustand der Berliner Ampel-Koalition

Der Anfang vom Ende

In der Rückschau wird diese Woche mal als der Moment wahrgenommen werden, in dem der Niedergang der Ampel-Koalition seinen Ursprung genommen hat. Drei Probleme sind es besonders, die die Regierungsarbeit von SPD, Grünen und FDP belasten.

Von wegen  „Fortschrittskoalition“: Die Berliner Ampel-Bündnis hat schon nach 16 Monaten Regierungszeit erheblich Schlagseite. Im jüngsten Koalitionsausschuss rang SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) gemeinsam mit Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner (links) den Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und dessen Grüne nieder. Foto: Michael Kappeler/dpa

Außer dem Willen zur Macht und der Alternativlosigkeit hält die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP nicht mehr sonderlich viel  zusammen. Der 30-Stunden-Sitzungsmarathon des Koalitionsausschusses hat weit mehr Wunden geschlagen als geheilt. Gewiss: Politische Bündnisse sind nie Liebesheiraten, sondern Zweckgemeinschaften. Jedoch haben sich die drei größten Probleme dieser von Anfang an schwierigen Regierungskonstellation inzwischen erheblich verschärft.

Erstens: Dieses Mal sind zwar die Grünen als klarer Verlierer vom Feld gegangen, am meisten aber hat bisher die FDP an der Ampelkoalition gelitten. Mehr Markt oder mehr Plan? Das ist in nahezu allen Politikfeldern die Gretchenfrage, die Lindners Liberale substanziell von Sozialdemokraten und Grünen trennt. Dass die FDP sich darüber fast permanent des Vorwurfs bezichtigen lassen muss, „Opposition in der Regierung“ zu sein oder – gar schlimmer noch – diese Rolle zu spielen, ist ruinös. So sitzt die FDP regelrecht in der Falle: Sie kann die Ampel vor lauter Existenzangst nicht verlassen (zumindest im Moment), obwohl diese ihr doch langfristig die Existenzgrundlage entzieht.

Zweitens: Die SPD mutiert mehr und mehr zur Regierungspartei ohne erkennbaren Anspruch. Nie ist eine regierungsführende und den Bundeskanzler stellende Partei an Stimmanteilen gemessen schwächer gewesen, und selten ist sie schwächer aufgetreten. Die Sozialdemokraten verschwinden zunehmend hinter ihrem Kanzler Olaf Scholz, der nach nicht einmal 16 Monaten im Amt schon präsidialer auftritt als Angela Merkel nach 16 Jahren.

Die Parteichefs der Koalitionsparteien verkündeten nach einem Verhandlungsmarathon von mehr als 30 Stunden die Ergebnisse des Koalitionsauschusses (von links): Christian Lindner (FDP), Ricarda Lang (Grüne) und Lars Klingbeil (SPD). Vor allem die Grünen mussten dieses Mal schmerzhafte Zugeständnisse machen. Foto: Michael Kappeler/dpa

Drittens: Auch wenn die nächste reguläre Bundestagswahl im Herbst 2025 noch mehr als zwei Jahre entfernt ist, hat Scholz heute schon seinen Vizekanzler Robert Habeck als seinen großen Rivalen ausgemacht. Umgekehrt ist es nicht anders. Erfolge gönnt man sich dementsprechend gegenseitig nicht. So kam es Scholz nun doppelt zu Pass, dass die SPD mit der FDP gemeinsame Sache machen konnte, um dem Bundeswirtschaftsminister und dessen Grünen eine herbe Schlappe beizubringen.

Vollmundig und mit viel Vorschusslorbeeren in ei­ge­ner Sache als „Fortschrittskoalition“ gestartet, hat die Ampel längst für reichlich Ernüchterung gesorgt. Die Umfragen werden schonungslos zeigen, wie schlecht das Ansehen der Regierung aus SPD, Grünen und FDP inzwischen ist. Auch der nächste Streit der Ampelkoalitionäre wird kommen, und er kann jederzeit heftig ausfallen. Spätestens wenn die Regierung über die finanzielle Ausstattung der Kindergrundsicherung entscheiden muss, geht's erneut ans Eingemachte. Den Anfang vom Ende aber haben wir schon erlebt.

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