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Kommentar zum Osterfest 2023

Vom Glück des Glaubens

Nichts glauben zu müssen, mag ein Privileg unserer Zeit sein. Glauben zu dürfen, ist dagegen ein Schatz. Gedanken zum größten aller Christenfeste – Gedanken zur unglaublichen Ostergeschichte und der Botschaft, die sie auch heute für uns bereithält.

Eine Frau hebt ihren Arm und singt mit kräftigen Gesten eine „Saeta“ von einem Balkon zum Cristo del Consuelo (Christus des Trostes) im spanischen Granada. Die Prozession dauert etwa zwölf Stunden und führt über eine komplizierte Route, während derer „Saetas“ gesungen und „vivas“ geschrien werden. Foto: Felipe Passolas/dpa

Glauben heißt nicht wissen: Dieser Satz begleitet mich seit meiner Kindheit. In meinem Elternhaus ist er oft gefallen – zumeist als Mahnung, sich nicht mit eigenen Überzeugungen, dürftigen Informationen oder mit Gerüchten gar zufrieden zu geben.

Auch heute bleibt er für mich wichtig – natürlich im Berufsleben, denn Journalisten sollten von den Dingen wissen, über die sie schreiben. Nur an etwas zu glauben, und sei es noch so eine gute Sache, reicht da nicht.

Aber das ist nur die eine Seite. Der Satz „Glauben heißt nicht wissen“ hat für mich noch ei­ne tiefergehende Bedeutung. Denn er besagt, dass das Glauben per definitionem eine Unsicherheit in sich trägt. Der Glaube kann niemals die letzte Gewissheit für sich beanspruchen – und genau das macht ihn aus. Zum Glauben gehört immer das Zweifeln – mitunter wohl auch das Verzweifeln. Egal, ob an sich selbst, an den Nächsten, ob an der Kirche oder an Gott.

Die Ostergeschichte ist mehr als eine gute Story

Was aber soll uns stärker zweifeln lassen als Ostern, dieses höchste aller Christenfeste? Denn es ist ja so: Zu Weihnachten kann man die Bibel und die Evangelien ziemlich leicht umdeuten: Da ist halt ein ganz normaler Junge in ei­nem Stall in Bethlehem geboren worden, den die Menschen dann – warum auch immer – für Gottes Sohn gehalten haben. Eine gute „Story“ gewiss, aber das war‘s.

Mit der Ostergeschichte geht das so nicht. Klar: Jesus mit seinen Jüngern beim letzten Abendmahl, seine Verurteilung, die Kreuzigung, der Tod – dies alles mag noch erklärlich sein. Die Auferstehung jedoch lässt sich rational nicht herleiten – dieses Geschehen übersteigt unser Wissen, ist zu viel für unseren Verstand.

Vorfreude aufs Osterfest herrscht auch in Paderborn. Foto: Verkehrsverein Paderborn

Sicher: Manch eine und manch einen ficht das alles nicht an. Wer weiß, dass er nicht (mehr) glauben will oder kann, für den ist Ostern nichts mehr als das verlässlich längste Wochenende des Jahres. Und doch ist es ein Geschenk, glauben zu können. Denn nicht alles zu wissen, heißt eben auch, vertrauen zu müssen – vertrauen zu dürfen. Das freilich ist etwas ganz anderes, als es Friedrich Wilhelm Nietzsche mit seiner Zuspitzung „Glaube heißt Nicht-wissen-wollen, was wahr ist“ in seinem Werk „Der Antichrist“ weismachen wollte.

Den Raum für den Glauben neu öffnen

Wer glauben kann, darf es sich damit weiß Gott nicht leicht machen. Blindes Vertrauen, Naivität und Kritiklosigkeit verbieten sich jedem vernunftbegabten Menschen. Doch wer glauben kann, hat es leichter im Leben. Denn sie oder er weiß, dass wir auch heute, fast 2000 Jahre nach dieser absolut unglaublichen Ostergeschichte, dass wir in unserer hoch technisierten, mehr und mehr globalisierten, in unserer durchökonomisierten und ganz und gar säkularisierten Welt nur sehr selten alles wissen. Dass wir kaum alles wissen können – und dass es manchmal sogar gut ist, nicht alles zu wissen und auch, nicht alles wissen zu müssen.

Denn erst diese Unvollkommenheit ist es ja, die uns den Raum öffnet für den Glauben an andere, für den Glauben an das Leben und wohl auch für den Glauben an den Glauben. Die Osterfeiertage bieten die Möglichkeit, sich neu darauf einzulassen. Und glauben Sie mir: Es lohnt sich! Frohe Ostern Ihnen und all Ihren Lieben!

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