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Kommentar zum Ukraine-Krieg und dem neuen Friedensappell

Das Dilemma bleibt

In ihrem Appell „Frieden schaffen!“ haben Historiker Peter Brandt – Sohn des ehemaligen SPD-Kanzlers Willy Brandt – und seine Mitstreiter Substantielleres zu sagen als Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer. Und doch bleibt ihr Aufruf ein wenig naiv.

Ukrainische Soldaten beim Abfeuern eines Mörsers auf russische Stellungen an der Frontlinie bei Bachmut. Foto: Libkos/AP/dpa

Nein, dieser neuerliche Friedensappell ist nicht zu vergleichen mit dem „Manifest für den Frieden“. Er ist um einiges besser, aber ist er auch gut? Die Rolle des Aggressors Russland und die von Kriegs­verbrecher Wladimir Putin befohlenen Gräueltaten werden jedenfalls nicht erwähnt. Der Appell liest sich damit so, als liege die Verantwortung für den Frieden überall – nur eben nicht bei denen, die die Ukraine überfallen haben.

Dennoch bleibt da eine gehörige Substanz. Anders als Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer fordern der Historiker Peter Brandt und seine Mitstreiter nämlich keineswegs, dass Deutschland der Ukraine keine Waffen mehr liefern solle. Ihre Kernbotschaft ist eine andere: Sie wollen SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz zu einer Friedensinitiative ermutigen, in deren Rahmen Deutschland gemeinsam mit Frankreich versuchen soll, „insbesondere Brasilien, China, Indien und Indonesien für eine Vermittlung zu gewinnen und schnell einen Waffenstillstand zu erreichen“.

Das ist schon allein deshalb klug, weil es knallhart nüchterne Realpolitik verkörpert. Und weil es klarmacht, dass Russland bei weitem nicht so isoliert ist, wie man es sich wünschen würde und wie es Begriffe wie „westliche Allianz“ oder „der Westen“ mitunter glauben machen. Auch sonst setzt sich das Schreiben unter dem Titel „Frieden schaffen!“ erfreulich von dem kühlen, ja herablassenden Ton ab, den Wagenknecht und Schwarzer gegenüber der Ukraine angeschlagen haben. Dass es ihr Manifest trotzdem binnen weniger Wochen auf rund 800.000 Unterschriften gebracht hat, ist da erst recht ein Alarmzeichen.

Rauch steigt aus einem brennenden Gebäude in einer Luftaufnahme von Bachmut auf, dem Ort schwerer Kämpfe mit russischen Truppen in der Region Donezk. Foto: Libkos/AP/dpa

Im neuerlichen Friedensappell sind stattdessen die historischen Bezüge zur Agenda Willy Brandts, der direkt zitiert wird, unverkennbar. Der Bogen wird gespannt von der Schlussakte von Helsinki zur Charta von Paris – dann heißt es: „Frieden kann nur auf der Grundlage des Völkerrechts und auch nur mit Russland geschaffen werden“. Das mag geopolitisch richtig sein – in der brutalen Gegenwart wirkt es dennoch ein wenig naiv.

Das Dilemma bleibt ja: Ei­nen Frieden mit Russland wird es nicht geben, solange Putin diesen nicht will. Und alle diplomatischen Bemühungen scheitern, solange sich Russland nicht – aus eigenen Interessen – zu ernsthaften Verhandlungen gezwungen sieht. Heißt im Klartext: Gegenwärtig kann nur die entschlossene militärische Unterstützung der Ukraine den von allen vernunftbegabten Menschen herbeigesehnten Weg zurück zur Diplomatie weisen.

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