Kommentar zum Bilanzskandal bei Wirecard
Vertrauen in Aktien ist erschüttert
Der Schaden für die Aktienkultur in Deutschland ist enorm. Ausgerechnet Wirecard – eines der wenigen aufstrebenden und innovativen Unternehmen im Aktienleitindex Dax – erschüttert das ohnehin spärliche Vertrauen der deutschen Privatanleger in Wertpapiere als Altersvorsorge. In nur zwei Handelstagen hat der Finanztechnologiedienstleister 80 Prozent seines Werts eingebüßt.
Dieser beispiellose Kursrutsch eines Dax-Unternehmens ist ein Spiegelbild der Ausmaße des Bilanzskandals, den derzeit offenbar nicht einmal der Wirecard- Vorstand selbst umfassend überblicken kann. Fast zwei Milliarden Euro gelten urplötzlich als verschollen. Ob sie in dunklen Kanälen versickert sind oder niemals existiert haben, müssen die nächsten Tage und Wochen zeigen.
Heuchlerisch oder naiv
So oder so ist die angeblich überraschte Wirecard-Führungsetage alarmierend. Entweder ist sie heuchlerisch oder aber in höchstem Maße naiv. Es handelt sich schließlich um ein Viertel der Bilanzsumme des Unternehmens. Als gesichert gilt derzeit nur, dass das Geld niemals auf den Konten der beiden asiatischen Banken angekommen ist. Für Wirecard geht es nun um nichts anderes als die nackte Existenz. Selbst wenn das Unternehmen seine kreditgebenden Banken davon überzeugen kann, nicht von dem Sonderkündigungsrecht der Kreditlinien Gebrauch zu machen, ist das gerade in der Finanzbranche so wichtige Kundenvertrauen erst einmal verspielt.
Zumal es nicht das erste Mal Zweifel an dem Geschäftsgebaren des Dax-Konzerns gibt. Seit Jahren wurden immer wieder Gerüchte über Unregelmäßigkeiten laut, gefolgt von Shortattacken durch Hedgefonds, die auf fallende Kurse wetten. Im April 2019 brachte zudem eine Serie kritischer Artikel der Financial Times das Unternehmen in große Erklärungsnöte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten Anleger hellhörig werden und das Weite suchen müssen.
Mahnendes Beispiel
Kritische Fragen muss sich in diesem Zusammenhang aber auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) gefallen lassen. Hätte die Aufsichtsbehörde die aufgeblähten Bilanzen früher bemerken müssen? Geht man davon aus, dass das Geld nicht erst seit ein paar Tagen fehlt, und berücksichtigt man die Recherchen der Financial Times, ist dies der Fall.
Privatinvestoren sollte dieser Fall ein mahnendes Beispiel sein. Niemals sollten sie einen Großteil ihres Kapitals auf Einzelwerte setzen. Ein breit aufgestelltes Depot ist jedoch nach wir vor die beste Absicherung gegen Altersarmut.
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