Offizielle Kriminalitätszahlen stehen im Widerspruch zu Erfahrungen von Juden
Antisemitismus: Zweifel an Statistik
Bielefeld (WB/as). Wodurch ist jüdisches Leben in Deutschland stärker bedroht: durch Rechtsextremismus oder durch islamisch motivierten Judenhass?
Die Zahl antisemitischer Delikte hat zugenommen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf Fragen des ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck hervor.
Im ersten Halbjahr 2017 wurden insgesamt 681 antisemitische Delikte erfasst. Im Vergleichszeitraum 2016 waren es 654. Die Zahl der Gewaltdelikte stieg von 14 auf 15 und die der Fälle von Volksverhetzung von 425 auf 434. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums im September 2017 wurden 632 der 681 antisemitischen Delikte von Rechtsextremisten begangen (93 Prozent). Nur bei 23 Fällen wird ein religiöser oder ausländisch motivierter Hintergrund unterstellt, der durch ausländische Themen bestimmt ist, beispielsweise um den Palästina-Konflikt. In nur einem Fall wird ein linksextremes Motiv angenommen.
Zweifel an Zahlen
An diesen Zahlen gibt es erhebliche Zweifel. Benjamin Steinitz, Leiter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Berlin, spricht von einer »Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Betroffenen von antisemitischen Angriffen, Beleidigungen und Beschimpfungen und den polizeilichen Statistiken«. Steinitz bezog sich gegenüber der Zeitung »Die Welt« auf den Bericht des »Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus«, der auf Anregung der Bundesregierung im April 2017 von Wissenschaftlern vorgelegt worden war.
Darin heißt es, fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten würden generell immer dann dem Phänomenbereich »Politisch motivierte Kriminalität Rechts« zugeordnet, »wenn keine weiteren Spezifika erkennbar« und »keine Tatverdächtigen bekannt geworden sind«. Ein Schriftzug wie »Juden raus« werde in der Statistik grundsätzlich als »rechtsextrem« geführt, obwohl auch in islamistischen Kreisen benutzt werde. »Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild«, schrieben die Autoren des Expertenberichts.
Für diese Annahme spricht eine Umfrage unter Juden in Deutschland. Acht Prozent gaben an, dass Angehörige oder Bekannte im Laufe des vergangenen Jahres Ziel von körperlichen Angriffen gewesen seien. Weitere 36 Prozent wurden beschimpft oder beleidigt. 81 Prozent der Angriffe und 62 Prozent der Beleidigungen seien von Muslimen gekommen.
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