LKA-Chefermittler Thomas Jungbluth will verstärkt gegen kriminelle Großfamilien durchgreifen
Doppelt so viele Clans in NRW wie gedacht
Bielefeld (WB). Ausländische Clans führen in NRW-Großstädten wie Duisburg und Essen die Kriminalitätsstatistiken bei Delikten wie Raub sowie Drogen- und Menschenhandel an. »Das Ruhrgebiet ist der Hauptbrennpunkt. Das ist der Bereich, wo die Clans am stärksten vertreten sind«, sagt Thomas Jungbluth, der Leitende Direktor beim Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf.
Tausende schwere Straftaten gehen in Nordrhein-Westfalen Jahr für Jahr auf das Konto der Clans. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer: Verbrechen, die von der Polizei nicht erfasst werden, weil Opfer – oft aus Angst – keine Anzeige erstatten. Zwischen 2016 und 2018 sind in NRW 14.225 Clan-Delikte erfasst worden. Viele davon im Bereich der Gewaltkriminalität. Tendenz steigend.
Das Land NRW hat den Clans den Kampf angesagt. »Kriminellen Mitgliedern von Familienclans treten wir mit einer Null-Toleranz-Strategie und maximalem Kontroll- und Verfolgungsdruck entgegen. Wir werden deutlich machen, dass wir im Ruhrgebiet keine rechtsfreien Räume und keine Parallelgesellschaften dulden«, betont Innenminister Herbert Reul. Der CDU-Politiker hat das Problem zur Chefsache gemacht und mit dem LKA-Ermittler Thomas Jungbluth (62) einen erfahrenen Beamten eingesetzt.
Die Anzahl der Clans in NRW auszumachen, war für die Polizei nicht leicht. »Wir haben Clan-Mitglieder mit türkischer Staatsangehörigkeit, einige mit libanesischen Papieren und einige mit deutschem Pass«, sagt der Ermittler. Allein mit Hilfe der Staatsangehörigkeit kamen Jungbluth und sein Team aber nicht weiter. Das Landeskriminalamt kontaktierte Kollegen in Niedersachsen und Bremen, die sich schon länger mit den kriminellen Gruppen beschäftigen. Von dort kam der Tipp, dass einige Großfamilien in verschiedenen Schreibweisen gelistet sind. »So ist die Zahl von um die 100 Clans entstanden, die wir aktuell ermittelt haben«, sagt Jungbluth. Zuvor ging man in NRW nur von etwa 50 Großfamilien aus.
Polizei registriert vermehrt Tumultdelikte
Diese treten in der Öffentlichkeit immer offensiver auf. Seit Anfang der 2010er Jahre registriert die Polizei vermehrt Tumultdelikte. Wird ein Clan-Mitglied von der Polizei überprüft, sehen sich die Beamten schnell einer großen Gruppe gegenüber. Die Stimmung ist aggressiv. Vom Lärm angelockt, kommen erste Unterstützer, sie filmen den Streit und rufen per Handy immer mehr Menschen aus nahe gelegenen Wohnungen und Geschäften herbei.
Einige gucken nur, einige versuchen aber auch die Festgenommenen zu befreien. »Das bedingungslose Durchsetzen der Interessen gegen gesetzliche Regelungen ist massiver geworden«, stellt Thomas Jungbluth fest. Konkret heißt das: Staatliche Regeln sind den Clan-Mitgliedern egal, sie interessieren sich nur für die Gesetze der Familie.
Verhalten hat historsische Hintergründe
Laut Thomas Jungbluth hat dieses Verhalten historische Gründe. Die Mehrzahl der Clan-Mitglieder stammten von den Mhallami-Kurden ab, die aus Gebieten der Türkei in den Libanon gewandert sind. Zwischen 1975 und 1990 zogen sie weiter, kamen in drei Wellen als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon nach Deutschland. »Die Familien haben in ihrer Geschichte gelernt, dass sie nur überleben können, wenn sie sich um die eigenen Interessen kümmern. Jeder Akt von außen, der gegen das Familieninteresse gerichtet zu sein scheint, wird als feindlicher Akt und als Ehrverletzung verstanden und als Einschränkung des Rechts des Stärkeren«, sagt der LKA-Beamte.
Besonders in den großen Städten des Ruhrgebiets wie Essen oder Duisburg sind die Clans stark vertreten. Mittlerweile zieht es die Großfamilien aber auch aufs Land. »Es gibt ländliche Bereiche, wo wir Hinweise auf aggressives Vorgehen der Clans in der Öffentlichkeit haben«, berichtet Jungbluth. Ob die Großfamilien auch in Ostwestfalen-Lippe operieren, darüber hat das Landeskriminalamt derzeit noch keine gesicherten Erkenntnisse. Ein genaues Lagebild wird noch erstellt und soll bald veröffentlicht werden.
Clans sind auch in OWL aktiv
Recherchen dieser Zeitung deuten darauf hin, dass Clans auch in OWL aktiv sind. In Bielefeld wurde zuletzt wegen Drogenhandels im großen Stil gegen eine Großfamilie ermittelt, in Herford soll ein Clan ebenfalls im kriminellen Milieu aktiv sein. In Bad Oeynhausen war eine Großfamilie in eine Schießerei vor einem Club verwickelt. Acht Familienmitglieder sind derzeit vor dem Landgericht Bielefeld angeklagt.
Um die Clans zu bekämpfen, fährt der Rechtsstaat die Krallen aus. Durch regelmäßige Razzien will die Polizei Kriminellen auf die Füße treten. »Bei Straftaten oder dem Verdacht einer Straftat schreiten wir konsequent ein«, sagt Jungbluth. Das Ziel: »Wir wollen deutlich machen, dass die Regeln des Rechtsstaats unser Miteinander regeln und nicht die Regeln des Clans«, sagt der LKA-Ermittler, der die Zusammenarbeit mit anderen Behörden wie Finanzämtern, Gewerbeaufsichtsämtern und dem Zoll stärken möchte. Kein Vergehen der Clans soll unentdeckt bleiben.
Die Ermittler befürchten zudem, dass sich die Situation durch die Migrationskrise seit 2015 verschärfen könnte. Das Landeskriminalamt beobachtet die Lage genau. »Wir haben erste Hinweise auf Konflikte zwischen Clans und den nachfolgenden Flüchtlingen. Die Gewalterfahrungen, die einige mitbringen, können konfliktverschärfend sein«, warnt Thomas Jungbluth. Zudem versuchen die Clans aber auch, Migranten für kriminelle Aktivitäten zu missbrauchen. Eine Entwicklung, die den Ermittlern Sorgen bereitet.
Morddrohungen gegen Kritiker
Deutschland ist für arabische Clans eine »Beutegesellschaft«. So lautet das Fazit des Islamwissenschaftlers Ralph Ghadban, der 2018 das Buch »Arabische Clans – die unterschätzte Gefahr« veröffentlicht hat.
Wie gefährlich die Clans sind, bekommt der Autor derzeit persönlich zu spüren. Ghadban, der 1949 im Libanon geboren wurde und 1972 für ein Studium nach Deutschland kam, erhält nach eigener Aussage Drohungen der »Familien-Union«, einem Zusammenschluss von weitverzweigten Clans in Deutschland.
Obwohl das Buch des Wissenschaftlers bereits im Herbst 2018 erschienen ist, gab es aus der Clan-Szene lange keine Reaktionen. Erst jetzt wird der Autor massiv bedroht. Hintergrund dürfte ein Interview mit einem libanesischen Fernsehsender sein, mit dem Ghadban erst im April auf Arabisch gesprochen hatte. Nach der Ausstrahlung verbreitete sich das Video des Gesprächs auch in Deutschland. Nach Auffassung der Clans habe Ghadban die Ehre der Mitglieder beschmutzt.
Besonders in den Sozialen Medien schlägt dem 70-Jährigen eine Hasswelle entgegen. In Videos wird Ghadban beschimpft. Zudem wird ihm im Internet mit Gewalt und sogar mit Mord gedroht – teilweise wurden die Drohungen unter dem Klarnamen veröffentlicht. In einem Video wird gesagt, dass man mit dem Gesicht des Autors »den Boden und die Schuhe« wischen wolle. In einem anderen Clip heißt es: »Wir finden dich, egal wo du bist. Und wir werden auf deinen Kopf treten.«
Daraufhin hat sich der Autor bei der Polizei gemeldet und Strafanzeige erstattet. Mittlerweile steht Ghadban unter Polizeischutz. Er selbst möchte sich aus Sicherheitsgründen gegenüber dem WESTFALEN-BLATT derzeit nicht zu den Drohungen gegen seine Person äußern. Der Autor will die Clans vorerst nicht weiter provozieren. Das haben ihm die Polizeibeamten geraten.
Ghadban erklärt im Gespräch mit dieser Zeitung aber kurz und knapp: »Für Sie geht es um einen Artikel für die Zeitung, für mich geht es um mein Leben!« Ein Satz der zeigt, wie ernst die Lage für den Wissenschaftler ist.
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