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Der Vorsitzende der NRW-SPD über die Umbaupläne für seine Partei

Groschek: »Die modernste Partei in Deutschland«

Düsseldorf (WB). Warum der neue politische Gegner FDP heißt, warum und wie die NRW-SPD die gesamte Sozialdemokratie modernisieren und dabei alte Zöpfe reihenweise kappen will – darüber spricht der neue SPD-Landesvorsitzende Michael Groschek im Interview mit unserem Korrespondenten Hilmar Riemenschneider.

Michael Groschek bei seiner Wahl Mitte Juni in Duisburg. Foto: Federico Gambarini/dpa

Herr Groschek, die neue Koalition von CDU und FDP hat begonnen, erste rot-grüne Beschlüsse einzukassieren. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?

Michael Groschek: Zweierlei. Erstens, dass wir eigene Fehler selbst deutlicher hätten korrigieren sollen. Und zweitens, dass diese neue Koalition viel abräumt, aber bis jetzt nichts aufgebaut hat.

Die Kritik an der Inklusion in den Schulen ist offenbar in der Regierung von Frau Kraft nicht angekommen. Was haben Sie am Moratorium für Förderschulen auszusetzen?

Groschek: Das Moratorium ist ja keine wirkliche Antwort. Wir brauchen bei der Bildungspolitik einen wesentlich größeren Wurf. Die Menschen sind das Zuständigkeitsgerangel leid: Die Kommunen für die Schulen, die Länder für die Lehrer und der Bund für gar nichts – das geht nicht mehr auf. Politik muss sich insgesamt verantwortlich zeigen. Deshalb muss die Botschaft sein: Wir bauen nicht nur die besten Autos der Welt, sondern wir bauen endlich auch die besten Kitas und Schulen der Welt. Und das geht nur, wenn wir eine große Initiative mit Bund, Ländern und Gemeinden zusammen starten. Geld ist genug da.

»Wir sind eine sehr werthaltige Partei«

Eine ähnliche Botschaft hört man auch bei CDU und FDP. Wo ist der Unterschied zur SPD?

Groschek: Der ist gewaltig. Das, was Frau Merkel in vielen Jahren geschafft hat, die Entkernung der CDU mit Abschaffung der Wehrpflicht, Atomausstieg und Ehe für alle, das schafft Herr Laschet mit seiner ersten Regierungsbildung. Alle Themen, die Otto Normalverbraucher als Markenkern der CDU summieren würde – Familie, Kinder, Bildung, Wirtschaft – hat Laschet an die FDP outgesourced. Der erste große Unterschied ist deshalb schon, dass die CDU eine inhaltsleere Hülle ist und wir eine sehr werthaltige Partei sind. Und die FDP startet in der Bildungspolitik ein aufgehübschtes »Privat vor Staat«. Die Bildungsmaut für nichteuropäische Ausländer ist der gleiche Murks wie die Automaut für Ausländer, die wir jetzt alle bezahlen müssen. Die FDP will Studiengebühren für alle und elitäre Bildungsstrukturen. Deshalb redet sie auch von Elitegymnasien und verschönt das mit dem Standort in benachteiligten Stadtteilen. Wir brauchen aber keine elitären Bildungseinrichtungen, sondern wir brauchen die bestmögliche Bildung für alle.

Ist die FDP damit der neue Hauptgegner der SPD, den Sie vorher vielleicht sogar unterschätzt haben?

Groschek: Ich glaube nicht, dass wir die FDP unterschätzt haben. Aber man muss sehen, dass allein Herr Pinkwart rund die Hälfte der gesamten Regierungstätigkeit in seinem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie vereint. Er ist der wahre Superminister. Wenn mich jemand nach dem SPD-Herausforderer von Herrn Laschet fragt, frage ich zurück, ob der nicht vielmehr Herrn Pinkwart herausfordert. Dazu kommt, dass die beiden anderen FDP-Minister die Werteorientierung dieser Regierung übernommen haben. Deshalb wird die Auseinandersetzung mit diesen Dreien die eigentliche Herausforderung.

»Die Partei war zu sehr schweigende Mehrheit«

Es gibt eine ganze Reihe von Gesetzen, die CDU und FDP jetzt einkassieren wollen. Führen Sie schon eine Liste, was Sie wieder zurückdrehen würden?

Groschek: Nein, wir werden jetzt erstmal ein Defizit beheben, das sich in der Regierungszeit auf Seiten der Partei angehäuft hat. Die Partei war zu sehr schweigende Mehrheit und zu wenig profilierte Rot-pur-Alternative. In einer Koalition muss man immer Kompromisse machen. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Politik der Koalition mit der SPD gleichgesetzt wird und Rot pur nicht mehr erkennbar ist. Deshalb werden wir die NRW-SPD organisatorisch, strukturell und inhaltlich zur modernsten Partei in Deutschland machen. Sozialer Fortschritt, den wir beschreiben werden, zeigt zwei Seiten einer Medaille: Auf der einen Seite muss soziale Gerechtigkeit auf dem Kontoauszug oder dem Rentenbescheid ablesbar sein. Auf der anderen Seite wird soziale Gerechtigkeit nur finanzierbar und dauerhaft darstellbar sein, wenn wir die modernste und wachstumsstärkste Wirtschaft haben. Beides werden wir verbinden. Fortschritt heißt immer, soziale Moderne in Deutschland zu realisieren. Dass muss wieder Markenkern der SPD werden.

Frau Merkel plant einen Wahlkampf mit Wohlfühl-Botschaften. Die Kampagne von Frau Kraft hier in NRW war ähnlich gestrickt. Verfängt dann das Thema Gerechtigkeit noch?

Groschek: Je konkreter wir Gerechtigkeit machen, desto größer ist die Resonanz. Beispiel Rente: Wer 35 Jahre gearbeitet hat, darf nicht zum Sozialhilfefall werden. Es geht um die Frage, wie das Rentenniveau abgesichert werden soll, ob wir nicht eine Art Bürgerversicherung bei der Rente brauchen. Die Menschen interessieren sich auch für Steuer- und Abgaben-Gerechtigkeit. Und Abgabenfreiheit in der Bildung bringt den meisten Familien mehr als pauschale Steuergeschenke, bei denen nur große Einkommen auch groß entlastet werden.

Was soll bei der organisatorischen Erneuerung der SPD passieren?

Groschek: Wir werden neben die etablierte Struktur von Ortsverein, Stadtverband und Unterbezirk eine ganz neue NRW-Netz-SPD bauen. Das ist der Bauauftrag von Svenja Schulze als Generalsekretärin, sie ist Architektin und Polier auf dieser Baustelle. Sie wird hauptverantwortlich diese Netz-Struktur errichten, die allen Mitgliedern die Möglichkeit gibt, zu jeder Zeit Meinungsäußerungen relevant und wirksam einzubringen. Wir brauchen den ganzen Ideenreichtum unserer Mitglieder. Deshalb haben wir das klare Ziel, bis zum nächsten ordentlichen Parteitag im September 2018 die Strukturen soweit gebaut zu haben, dass wir auf dem Weg zur modernsten Partei in der Bundesrepublik sind. An dem Maßstab wollen wir uns messen lassen.

»Unsere Sprache muss bildhafter werden«

Verlagern Sie damit die wichtigen Debatten von Parteitagen ins Netz?

Groschek: Beides ist gleichberechtigt. Wir müsse es aber grundsätzlicher begreifen: Die Logik der Schriftsprache hat unser Denken und Handeln über zweieinhalb Jahrtausende geprägt. Das wird im Moment epochal abgelöst durch eine Logik der Bildsprache. Prägnantes Beispiel ist, wie das Smartphone bei immer mehr Kindern mit der Handinnenfläche verwächst und dass das Tablet die Fibel und die Tafel ablöst. Wir müssen begreifen, dass Menschen, die so aufwachsen und sich so eine Lernkultur aneignen, ein anderes Denk- und Sprachmuster haben. Unsere Sprache muss wesentlich bildhafter werden und darf nicht, wie immer mehr auf Parteitagen, zur Fremdsprache für viele Menschen werden.

Im Ruhrgebiet wird die AfD zum Konkurrenten, in ländlichen Räumen sind es bürgerliche Parteien. Für die SPD ist das ein schwieriger Spagat – oder?

Groschek: Ich werde nicht zulassen, dass die SPD zur Ruhrgebietspartei erklärt wird. Wir sind eine Partei fürs ganze Land. Die regionale Vielfalt ist eine Stärke. Und wir wollen in allen Regionen die Nummer eins werden. Zugegeben: Das klingt überehrgeizig nach den letzten Wahlergebnissen in NRW. Aber auch die CDU hat hier ihr zweitschlechtestes Ergebnis eingefahren. Wir begreifen uns als die Heimatpartei in Nordrhein-Westfalen. Dazu gehört auch das Schützenfest, aber noch viel mehr. Heimat ist auch ein großes soziales Bedürfnis, das Sehnen nach sozialer Sicherheit und Geborgenheit. Und da nehmen wir mit jedem Gegner den politischen Wettstreit auf.

Stichwort Umfragetief im Bund: Was muss die SPD tun, um von mehr Menschen als relevant angesehen zu werden?

Groschek: Sie muss einen klaren Kurs halten und Haltung bewahren. Eine Meinungsumfrage ist kein Kompass, sondern ein Sackgassenschild. Entscheidend ist nur das Wahlergebnis. Welchen Wert Umfragen haben, sehen wir im Ausland: Sanders in den USA, Corbyn in Großbritannien, Kurz in Österreich und Macron in Frankreich verbindet, dass die Demoskopen ihnen den Erfolg nicht zugetraut haben. Alle hatten einen mosaischen Moment: Sie haben so authentisch gewirkt, dass die Menschen ihnen glauben, sie hätten eine Vorstellung vom gelobten Land.

»Die SPD muss wieder die Partei der guten Hoffnung werden«

Für die SPD bedeutet das was?

Groschek: Für die SPD heißt das, dass wir wieder die Partei der guten Hoffnung werden. Wir müssen klar machen, dass Reform etwas Positives und nichts Angst einjagendes ist. Das ist die große Herausforderung über den Tag hinaus. Und wer, wenn nicht der Landesverband NRW, muss sich auf den Weg machen und diese Perspektive beschreiben. Das meine ich mit der Agenda des sozialen Fortschritts. Viele fordern eine Agenda 2030. Ja, bitteschön, aber wir werden die aus der Mitte der Partei schreiben und dabei vielfältige Gruppen integrieren.

Ist Martin Schulz dann zu früh gestartet?

Groschek: Nein. Die 20.000 Neumitglieder in der SPD – allein 6000 in NRW - wären ohne Martin Schulz nicht eingetreten. Das sind Engagierte, die mitmachen wollen. Schulz ist auch – trotz all dieser Umfragen – der richtige Herausforderer von Angela Merkel.

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