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Soll NRW noch Einsatzhundertschaften nach Berlin schicken?

Debatte um Polizei-Einsätze

Düsseldorf (WB). Ein gerade vom Bundesland Berlin beschlossenes Gesetz kehrt dort die Beweislast um: Menschen müssen nicht nachweisen, dass sie von einer Berliner Amtsperson diskriminiert wurden, sondern die Amtsperson muss beweisen, dass sie unschuldig ist. Das hat Auswirkungen auf die Polizei in NRW.

Christian Althoff

Nordrhein-Westfalen hilft immer wieder in anderen Bundesländern mit seinen Einsatzhundertschaften aus. Probleme werden jetzt aber in Berlin befürchtet, wo ein neues Antidiskriminierungsgesetz beschlossen wurde. Foto: Thomas F. Starke

Immer wieder hilft Nordrhein-Westfalen mit seinen Einsatzhundertschaften in anderen Bundesländern aus und unterstellt sie der örtlichen Einsatzleitung, wenn es dort bei Großereignissen an Polizisten fehlt. Seit 2015 profitierte Berlin 27 Mal von dieser Hilfe. Doch damit könnte bald Schluss sein: In NRW fordern CDU, FDP und Gewerkschafter das Ende der Unterstützung. Michael Maatz, Vize-Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Das Gesetz stellt Polizisten unter Generalverdacht und setzt sie einem Verfolgungsrisiko aus, gegen das sie sich kaum wehren können.”

Das von der rot-rot-grünen Senatsmehrheit beschlossene Landes-Antidiskriminierungsgesetz verbietet Amtspersonen Diskriminierung „aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Status”. Knackpunkt ist Paragraph 7: „Werden Tatsachen glaubhaft gemacht, die das Vorliegen eines Verstoßes wahrscheinlich machen, obliegt es der öffentlichen Stelle, den Verstoß zu widerlegen.”

Wer also zum Beispiel meint, bei einer Fahrscheinkontrolle nur wegen seiner Hautfarbe überprüft worden zu sein, wer meint, der Lehrer benachteilige ihn, weil er aus einer sozial schlechter gestellten Familie komme – der kann jetzt in Berlin klagen und Schadensersatz fordern. Die Amtsperson legt dann ihre Sicht der Dinge dar, und ein Richter entscheidet.

Zu denen, die das Gesetz loben, gehört der pensionierte Polizist Thomas Wüppesahl, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten, die 106 Mitglieder hat. „Die Beweislastumkehr ist richtig. Anderenfalls hat man kaum eine Chance, sein Recht gegen einen Polizisten durchzusetzen.” Das sieht die GdP anders. NRW-Landesvize Michael Maatz: „Es kann ja wohl nicht sein, dass Polizisten nach Einsätzen, von denen Menschen mit Migrationshintergrund betroffen waren, nachweisen müssen, dass die Herkunft des Betroffenen keine Rolle gespielt hat!”

Der Paderborner Landtagsabgeordnete Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, nannte die Regelung der Beweisumkehr Ende Mai in einer Rede vor dem Landtag in Düsseldorf „irre”. Lürbke: „Das ist ein politisch motiviertes Misstrauensvotum gegen die Polizei.” Lürbke und sein CDU-Kollege Dr. Christos Katzidis haben beantragt, das Thema an diesem Mittwoch in der Innenausschusssitzung des Landtags zu behandeln.

GdP-Landesvize Maatz sagt, nicht die Hautfarbe sei oft Grund für Überprüfungen, sondern Erkenntnisse der Polizei. „Wir wissen zum Beispiel, dass die meisten Geldautomatensprengungen von arabischen Clanmitgliedern begangen werden, die Audis mit niederländischem Kennzeichen fahren.” Wenn die Polizei also Araber in Audis kontrolliere, geschehe das nicht aus Rassismus, sondern auf Grund von Erfahrungen.

So ein Vorgehen hält Dr. Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin jedoch für menschenrechtswidrig. Er hat sich in Studien mit dem Phänomen des „Racial Profiling” befasst und sagt: „Polizisten können jemanden kontrollieren, wenn er sich durch sein Verhalten verdächtig gemacht hat.” Äußerliche Merkmale wie Hautfarbe dürften dagegen kein Kriterium für eine Überprüfung sein, das ergebe sich schon aus Artikel 3 des Grundgesetzes. „Ob ich jemanden kontrolliere, muss immer eine Einzelfallentscheidung sein.”

Wenn die Polizei aufgrund pauschaler Zuschreibungen nur Menschen mit bestimmten physischen Merkmalen in den Blick nehme, könne sich das sogar negativ auf die Polizeiarbeit auswirken: „Der NSU-Untersuchungsausschuss hat gezeigt, dass das Blickfeld der Ermittler eingeschränkt war.” Cremer plädiert dafür, das Diskriminierungsverbot in die Landespolizeigesetze aufzunehmen und angehende Polizisten „besser zu schulen”.

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