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BDA-Hauptgeschäftsführer über Energiewende, Autoindustrie, Kanzlerkandidaten und Mindestlohn

Was will die Wirtschaft, Herr Kampeter?

Bielefeld (WB). Die Konjunktur trübt sich ein, Arbeitsplätze in der Industrie werden abgebaut. Was ist los am Wirtschaftsstandort Deutschland? Darüber haben Ulrich Windolph und Andreas Schnadwinkel mit dem Mindener Steffen Kampeter, dem Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, gesprochen.

Steffen Kampeter mit Redaktionsleiter Ulrich Windolph und Redakteur Andreas Schnadwinkel (links). Foto: Bernhard Pierel

Sie sind als Delegierter des CDU-Kreisverbands Minden-Lübbecke bei Parteitagen. Was denken Sie, wenn Sie die wirtschaftsfreundlichen Worte hören und wissen, dass es in der Praxis so nicht kommen wird?

Steffen Kampeter : An den Taten soll man die Politik messen. Zu den Botschaften der Bundesparteitage von Grünen und CDU gehört auch, dass sich Politik mehr um die Wirtschaft kümmern muss. Dabei mögen die Instrumente durchaus sehr unterschiedlich sein. Aber dass in den nächsten Jahren der unendliche Aufschwung doch endet, scheint mittlerweile jedem klar zu sein. Jetzt müssen wir uns um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit unter Beibehaltung des sozialen Ausgleichs kümmern. Diese Erkenntnisse erfreuen mich. Jetzt hoffe ich, dass diesen Erkenntnissen Taten folgen.

BDA-Präsident Ingo Kramer hat gesagt „Meine Leute träumen von einem CDU-Kanzler Friedrich Merz“. Gehören Sie auch zu diesen Leuten?

Kampeter : Die Wirtschaft sucht sich keinen Bundeskanzler aus, sondern sie möchte eine vernünftige Politik für klare Rahmenbedingungen, die unternehmerisches Handeln möglich machen. Das bedeutet auf der Kostenseite eine Bremse für den Sozialstaat und auf der Handlungsseite, das Versprechen des Bürokratieabbaus auch nachhaltig einzulösen. Welcher Kopf an der Spitze einer Regierung steht, entscheiden in einer Demokratie die Wähler. Und das ist auch gut so.

Sie meinen also, dass die Große Koalition zu viel Geld für Soziales ausgibt und zu wenig in die Zukunft investiert?

Kampeter : Es stimmt, dass die Große Koalition von den deutschen Arbeitgebern noch nie für ihre Ausgabenfreudigkeit gelobt worden ist. Fakt ist: Die Zeiten der sprudelnden Kassen sind vorbei. Die Bundesregierung muss die bestehenden Spielräume des Haushalts für Investitionen in die Zukunft nutzen. Mit solider Haushaltsführung kann die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung ohne Neuverschuldung gestützt werden.

Apropos Ausgaben: Bis zu 478 Euro Kindergeld für ein Kind pro Monat. Will sich die SPD mit dieser Forderung absichtlich als Koalitionspartner der Union ausschließen?

Kampeter : Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, den Sozialstaat noch weiter auszubauen. Diese Vorschläge wirken aus der Zeit gefallen, weil sie vergessen, dass wir mit einem Sozialausgabenanteil von 50 Prozent im Bundeshaushalt eher ein Defizit bei den Zukunftsinvestitionen haben. Ich würde mir wünschen, dass man genau so munter Vorschläge für mehr Wachstum macht.

Befürchten Sie, dass das neue SPD-Duo und die mögliche Aufkündigung der Großen Koalition der Wirtschaft Schaden zufügen könnten?

Kampeter : Am meisten fürchtet die Wirtschaft, dass die Parteien ihre Selbstbeschäftigung fortsetzen könnten. Wie Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer schon mehrfach betont hat: Die Union muss jetzt einen möglichen Konflikt mit der SPD aushalten und darf sich nicht mit noch mehr Ausgaben für Soziales erpressen lassen. Wir erwarten nach allen Parteitagen, dass sich die Regierung mit den Herausforderungen einer nachlassenden Konjunktur und möglicherweise anstehenden internationalen Spannungen befasst.

Sie haben Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus vor der Grundrente und ihren Kosten gewarnt. Warum? Weil Deutschlands Infrastruktur wegen der sehr hohen Sozialausgaben auf Felge fährt?

Kampeter : Wir Arbeitgeber sind klar für ein auskömmliches Dasein im Alter. Deswegen trifft unsere Kritik auch nicht das Bemühen der Politik, dies zu ermöglichen. Aber Sozialpolitik mit der Gießkanne, wie beim beschlossenen Vorschlag zur Grundrente, ist weder zielgenau, da sie oft diejenigen, die tatsächlich von Altersarmut betroffen sind, nicht erreicht, noch schafft sie eine nachhaltig finanzierbare Grundlage für unser Rentensystem.

Gleichzeitig raus aus Kernkraft und Kohle. Ist die Energiewende zu riskant für die deutsche Wirtschaft? Steht die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel?

Kampeter : Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hat deutlich gemacht, dass wir eine Wende der Energiewende brauchen. Es kann auf Dauer nicht sein, dass uns die Politik neben den steigenden Sozialkosten auch weiterhin steigende Energiekosten zumutet. Da müssen jetzt endlich den guten Signalen des Bundeswirtschaftsministers Taten folgen.

Frankreich ist auch kein Billiglohnland, bietet seinen Unternehmen aber deutlich günstigere Energiepreise. Wie groß ist dieser Standortnachteil für Deutschland?

Kampeter : Hohe Energiepreise im Vergleich zu unseren Hauptwettbewerbern sind ein Standortnachteil, den wir mit mehr Innovationen und Offenheit für alle wettbewerbsfähigen Technologien ausgleichen müssen. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, unsere Energiekosten zu dämpfen. Das Klimapaket kann dazu einen ersten wichtigen Beitrag leisten.

Continental, Bosch, Mercedes, Audi: Zehntausende Arbeitsplätze gehen in der Autoindustrie verloren. Ist die Hauptursache die Politik der Großen Koalition, die Verbraucher bei der Autokaufentscheidung verunsichert?

Kampeter : Wir Arbeitgeber stehen zum Automobilstandort Deutschland. Er ist das industrielle Rückgrat unserer Wirtschaft. Die Politik trägt hier wesentlich zu den Irritationen bei, die zur Kaufzurückhaltung führen. Es gilt aber auch, dass die Automobilkonzerne nicht frei von Fehlern sind. Es besteht insgesamt, auch in der Bevölkerung, die Erwartung, dass mit innovativen, zukunftsorientierten Produkten aus Deutschland Mobilität ermöglicht wird.

Was halten Sie von der technologischen Festlegung der Politik, beim Antrieb nur auf Elektromotoren zu setzen?

Kampeter : Der Staat hat sich im Vergleich mit dem Markt noch nie als der bessere Technologieratgeber erwiesen. Daher gibt es viel Kritik bei den Arbeitgebern, dass die Politik auf eine einzelne Technologie setzt. Ich denke, dass die nächsten Jahre mehr Klarheit bringen, was andere Technologien als den Elektroantrieb angeht.

Nimmt das Klimapaket keine Rücksicht auf die wirtschaftliche Wirklichkeit?

Kampeter : Man muss beides schaffen: eine nachhaltige Form des Wirtschaftens und einen leistungsfähigen Rahmen für unternehmerisches Handeln. Das ist in der Vergangenheit geglückt, und wir sollten die Soziale Marktwirtschaft auch in diesem Sinne nachhaltig fortentwickeln.

Führen die Belastungen durch Klimaschutzkosten zu mehr Tarifflucht der Unternehmen?

Kampeter : Hauptursache der mangelnden Begeisterung für Tarifverträge ist insbesondere die oft fehlende Flexibilität in ihrer Ausgestaltung. Wir sind im Dialog mit den Gewerkschaften, ob die zukünftigen Tarifverträge einfacher, verständlicher und damit auch für eine Vielzahl unterschiedlicher Unternehmen akzeptabler gestaltet werden.

Was halten Sie davon, dass das EU-Parlament den „Klimanotstand“ ausgerufen hat?

Kampeter : Es ist doch zu begrüßen, dass national und international die Investitionen in eine nachhaltige Form des Wirtschaftens verstärkt werden. Die Unternehmen gehen oftmals in Vorleistung. Dass das Europäische Parlament allerdings mehrheitlich den „Klimanotstand“ beschlossen hat, können viele ernsthaft und rational denkende Entscheider nicht nachvollziehen. Panik darf nicht Maßstab europäischer Politik werden.

Wie sehr fürchtet die Wirtschaft die Einführung eines Lieferkettengesetzes, das Unternehmen dazu zwingen soll, entlang ihrer Lieferkette Menschenrechte zu beachten?

Kampeter : Deutsche Unternehmen tun deutlich mehr für faire und transparente Lieferketten als die meisten ihrer internationalen Wettbewerber. Bis weit in den Mittelstand hinein setzen wir uns für globale Fairness ein. Unsere Kritik an dem geplanten Lieferkettengesetz zielt auf etwas anderes, nämlich dass der Staat der Wirtschaft Rechts- und Haftungspflichten für das Verhalten Dritter auferlegt, die er selbst nicht zu kontrollieren in der Lage wäre. Das ist ungerecht und führt eher zu einem Zusammenbruch globaler Lieferketten. Das kann weder im Interesse der deutschen Wirtschaft noch einer nachhaltigen Politik sein.

Würde ein Lieferkettengesetz automatisch bedeuten, dass man in Deutschland keine Elektroautos bauen dürfte, weil die Bestandteile der Batterien unter Bedingungen gefördert werden, die nicht den Menschenrechten entsprechen?

Kampeter : Derzeit befragt die Bundesregierung Unternehmen, wie sie innerhalb ihrer Lieferketten schon heute Menschenrechte achten und schützen. Nach der Auswertung bin ich zuversichtlich, dass ein Lieferkettengesetz nicht kommen wird.

SPD, Linke und Grüne fordern eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Sie sagen, dahin komme man wegen der Anpassung an die Tariflöhne ganz automatisch. Aber wann?

Kampeter : Der Mindestlohn steigt, wenn die Tariflöhne steigen. Und wir haben seit Jahren eine sehr solide Tariflohnentwicklung. Die Politik muss sehr aufpassen, den Kompromiss zur Findung des Mindestlohns aus dem Bundestag und dem Wahlkampf herauszuhalten. Die Mindestlohnkommission muss weiterhin unabhängig und unter Berücksichtigung der Tariflohnentwicklung arbeiten. Alles andere wäre irregeleitet.

Sie haben die Qualität der Sprachkurse für Flüchtlinge kritisiert. Um die Erfolgsquote zu erhöhen, fordert das Leibniz-Institut für deutsche Sprache, das Prüfungsniveau der Kurse zu senken. Was halten Sie davon?

Kampeter : Es ist das falsche Verständnis von Leistung, dass, wenn sie nicht erbracht wird, das Niveau gesenkt werden muss. Das ist in der Schul- und Bildungspolitik falsch, und das ist auch bei Sprachkursen falsch. Wir brauchen sprachlich befähigte Mitarbeiter in Betrieben. Das kann man nicht erreichen, indem man dem Problem aus dem Weg geht.

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