Prof. Stephan Ludwig zum Virus und seinen Folgen
Corona: Fragen an den Virologen
Münster (WB). Prof. Dr. Stephan Ludwig leitet das Institut für Virologie am Universitätsklinikum Münster. Christian Althoff sprach mit ihm über die Unterschiede zwischen Influenza- und Corona-Viren , Fußballspiele ohne Publikum und die Frage, ob man sich die Hände desinfizieren soll.
Nordrhein-Westfalen verbietet Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern, es gibt Fußballspiele ohne Publikum. Ist das aus ärztlicher Sicht sinnvoll?
Prof. Stephan Ludwig : Aus epidemiologischer Sicht ist das vernünftig, weil viele Menschen zusammenkommen, die sich gegenseitig anstecken können. Die Zahl 1000 ist willkürlich gewählt, aber natürlich ist in großen Menschenmengen das Risiko, dass einer von ihnen infiziert ist, höher. Mit dem Absagen von Großveranstaltungen wollen wir die Ausbreitung verlangsamen, aber man muss natürlich auch immer die Auswirkungen auf die Gesellschaft bedenken. Drastische Maßnahmen sind auch dazu geeignet, Panik zu schüren, für die es aber keinen Grund gibt.
Bei der jährlichen Influenza gab es diese einschneidenden Maßnahmen noch nie. Warum?
Prof. Ludwig: Die Influenza ist eine Krankheit, gegen die man sich impfen lassen kann und für deren Behandlung wir Medikamente haben. Beides haben wir gegen das Corona-Virus nicht. Es handelt sich um ein neues Virus, das im Moment beherrschbar scheint, aber wir lernen auch alle jeden Tag dazu. Was beispielsweise gerade in Italien geschieht mit der hohen Todesrate, ist für uns noch nicht erklärbar. Weil es noch so viele offene Frage gibt, sind Dinge wie Quarantäne und das Absagen von Großveranstaltungen schon angemessen.
Ist das Corona-Virus ansteckender als das Influenzavirus?
Prof. Ludwig: Auch da ist die Datenlage noch sehr unklar. Einige Kollegen, die sich mit der Verbreitung befassen, halten das Corona-Virus für etwas ansteckender. Auf der anderen Seite hatten wir 2009 die große Grippe-Pandemie, und damals hat sich das Grippe-Virus innerhalb weniger Wochen um die ganze Welt verteilt. Das ist beim Corona-Virus ja nicht der Fall. Da sehen wir noch immer lokale Begrenzungen.
Wir lesen und hören jeden Tag neue Infektionszahlen aus anderen Ländern, aber eben auch aus Deutschland. Sind das Hochrechnungen oder sind das die Zahlen der positiv Getesteten?
Prof. Ludwig: Das sind definitiv nur die positiv Getesteten und die Todesfälle. Die Dunkelziffer wird relativ hoch sein, weil das Corona-Virus bei Leuten, die nicht zur Risikogruppe gehören, nur schwache Symptome verursacht und manche Leute so milde Anzeichen haben, dass sie das für einen normalen grippalen Infekt halten und nicht zum Arzt gehen.
Das würde ja bedeuten, dass man aus den Zahlen, die öffentlich bekannt sind, überhaupt keine Sterblichkeitsrate errechnen kann, oder?
Prof. Ludwig: Das ist richtig. Deswegen sind die genannten Sterblichkeitsraten ja auch so unterschiedlich. Es gibt Länder, die melden eine Letalitätsrate von 0,6 Prozent der Infizierten. Wir haben in Wuhan Letalitätsraten von 2 bis 2,5 Prozent, und in Italien wird die Rate im Moment noch höher sein.
Das heißt: Je mehr Menschen ich auf Corona teste, desto geringer ist die errechnete Sterblichkeitsrate?
Prof. Ludwig: Das könnte man so sagen. Wenn ich viele Menschen teste, entdecke ich viele Infizierte, die keine oder nur leichte Symptome haben, und das Verhältnis zur Zahl der Toten wird größer.
Die Frage, ob das Influenza- oder das Corona-Virus tödlicher ist, kann man also noch nicht beantworten?
Prof. Ludwig: Es ist im Moment müßig, diesen Vergleich zu ziehen. Ich würde sagen, man kann es ungefähr gleichsetzen. Auf keinen Fall ist das Corona-Virus um den Faktor 10 tödlicher.
Ist es sinnvoll, Menschen zu testen, die keine Symptome haben, aber in Risikoregionen waren, etwa zum Skifahren in Südtirol?
Prof. Ludwig : Das ist auszweierlei Gründen nicht sinnvoll. Zum einen kann es passieren, dass man infiziert ist, aber das Virus sich noch nicht soweit im Körper vermehrt hat, dass es nachgewiesen werden kann. Das heißt, wir bekommen sehr viele falschnegative Proben. Und die zweite Sache ist natürlich die Belastung für das Gesundheitssystem. Wenn wir tausende von Menschen testen, die keine Symptome haben, verbrauchen wir viel Material und binden sehr viel Arbeitskraft in Arztpraxen, Kliniken und Untersuchungslaboren.
Bin ich immun, wenn ich das Virus einmal hatte?
Prof. Ludwig: Davon können wir ausgehen. Wie lange das anhält, ist aber noch nicht klar.
Hilft es mir, wenn ich gegen Influenza geimpft bin?
Prof. Ludwig: Die Impfung hilft nicht gegen Corona, aber sie hilft indirekt. Man kann theoretisch an beiden Viren gleichzeitig erkranken. Wir nennen das Co-Infektionen, und die sind nicht unüblich. Wer geimpft ist, bekommt also keine Zweitinfektion, was für den Körper natürlich besser ist.
Reicht gründliches Händewaschen, oder sollte man Desinfektionsmittel verwenden?
Prof. Ludwig: Händewaschen mit warmem Wasser und Seife reicht voll und ganz, wenn man sich 20, 30 Sekunden lang gründlich wäscht, auch in den Fingerzwischenräumen.
Muss man Produkte, die aus China kommen, desinfizieren?
Prof. Ludwig: Die Frage fällt in die Kategorie, ob man noch beim Chinesen essen darf. Natürlich darf man weiterhin zum Chinesen, und man muss auch keine Waren desinfizieren. Die Gefahr, dass das Virus auf Waren aufgebracht wird, ist extrem gering, und wenn das Ganze austrocknet, besteht kaum noch eine Chance, dass das infektiös ist.
Was ist aus Ihrer Sicht jetzt die drängendste Frage in Sachen Corona?
Prof. Ludwig : Weil wir einen Impfstoff und Medikamente so schnell nicht zugelassen bekommen, muss es jetzt um bereits zugelassene Arznei gehen, und da gibt es sehr vielversprechende Daten aus China. Da hat man Medikamente, die eigentlich für andere Krankheiten gedacht sind, eingesetzt und ganz gute Ergebnisse erzielt. Das sollte man ausweiten. Das Bundesforschungsministerium hat gerade Forschungsgelder für genau solche Tests ausgeschrieben.
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