Unter den Opfern auch Säuglinge und Kinder mit Behinderung - 73 Beschuldigte
Missbrauchskomplex Wermelskirchen "brutaler als Lügde"
Berlin/Wermelskirchen/Lügde
Der neue Missbrauchskomplex von Wermelskirchen hat nach Angaben der Ermittler eine Dimension an Brutalität, die die von Lügde noch übersteigt. Hauptbeschuldigter ist ein 44-jähriger aus Wermelskirchen im Bergischen Land.
Der kinderlose und verheiratete Angestellte habe im Internet seine Dienste als Babysitter angeboten und sich so seinen Opfern nähern können, berichteten die Ermittler am Montag in Köln. Mit Dutzenden weiteren Männern habe er zudem kinderpornografische Bilder und Videos „unvorstellbarer Brutalität“ getauscht.
„Ich bin erschüttert und fassungslos. Ein solches Ausmaß an menschenverachtender Brutalität und gefühlloser Gleichgültigkeit gegenüber kleinen Kindern, ihren Schmerzen und ihren Schreien ist mir noch nicht begegnet“, sagte Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel.
Die Darstellung von Missbrauch und Gewalt gegen Kinder nimmt rasant zu. Dabei gehen die Behörden von einem hohen „Dunkelfeld“ aus. Der Missbrauchskomplex Wermelskirchen hat eine neue Dimension von Brutalität.
Dabei hat die Polizei in Deutschland insgesamt 2021 deutlich mehr Missbrauchsdarstellungen an Kindern erfasst als im Jahr davor. Mehr als 39.000 Fälle wurden den Behörden im vergangenen Jahr bekannt, wie aus einer Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde.Das entspricht einem Anstieg um 108,8 Prozent der Fälle von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen.
Die Zahl der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch ist demnach im vergangenen Jahr um 6,3 Prozent auf über 15.500 gestiegen. Die jährlichen Zahlen erfassen nur jenen Bruchteil, von dem die Polizei erfährt. Das so genannte Dunkelfeld bilden die Zahlen also nicht ab.
Jeder Ermittlungserfolg ist wichtig
Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, beklagte, Europa sei zum Drehkreuz bei der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen geworden. «Wir brauchen eine verstärkte europäische Zusammenarbeit und deutlich mehr Investitionen in die personelle und technologische Ausstattung der Ermittlungsbehörden. Jeder Ermittlungserfolg ist wichtig, denn er bietet die Chance, akuten Kindesmissbrauch zu stoppen und weitere Taten zu verhindern.»
Nach Angaben des Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch, gehen bei den Behörden mehr Hinweise auf sexuellen Kindesmissbrauch ein. «Wir begrüßen das sehr: Schwerste Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche als schwächste Mitglieder der Gesellschaft sind besonders zu ächten, zu verfolgen und zu beenden.»
Wermelskirchen: Neue Dimension an Brutalität
Der 44-jährige Hauptbeschuldigte im Missbrauchskomplex von Wermelskirchen habe, so die Ermittler, im Internet seine Dienste als Babysitter angeboten und sich so seinen Opfern nähern können, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Montag in Köln mit. Mit Dutzenden weiteren Männern habe er Bilder und Videos «unvorstellbarer Brutalität» getauscht.
Es seien gewaltige Datenmengen mit 3,5 Millionen Bildern und 1,5 Millionen Videos sichergestellt worden. Bislang seien 73 Verdächtige und 33 Opfer identifiziert worden. Das jüngste Kind sei einen Monat alt gewesen. Unter den Opfern seien fünf Säuglinge und Kinder mit Behinderung.
Um Zugriff auf die unverschlüsselten Daten des 44-Jährigen zu bekommen, hätten Spezialkräfte ihn im vergangenen Dezember am eingeschalteten Rechner während einer Videokonferenz mit Arbeitskollegen überwältigt. Diese hätten ihrerseits den Notruf 110 gewählt, weil sie glaubten, Zeugen eines Überfalls zu werden. Die Sicherung der gesamten Datenmenge von 232 Datenträgern vor Ort habe dann 17 Tage gedauert.
Taten weitgehend eingeräumt
Eine besondere „Aufbauorganisation“ namens „Liste“ sichtet nun die gewaltigen Datenmengen. Der Name ist dem Umstand geschuldet, dass der Verdächtige sein Kinderpornografie-Archiv in Listen unterteilt habe – wohl um nicht den Überblick zu verlieren. Er habe die Taten weitgehend eingeräumt. Derzeit werde geprüft, ob er in Sicherungsverwahrung genommen werden könne. Ein psychiatrisches Gutachten sei ebenfalls in Auftrag gegeben worden.
Mittäter: Väter, Nachbarn, Bekannte, Brüder, Großväter
Bei den übrigen Verdächtigen handele es sich um Väter, Nachbarn, Bekannte, Brüder oder Großväter der Opfer. Der Schwerpunkt liege mit 26 Verfahren in NRW. Die meisten Verdächtigen seien in einem Alter zwischen 26 und 45 Jahren.
Auf die Schliche gekommen sei man dem Wermelskirchener im vergangenen November durch Ermittlungen gegen einen seiner Chat-Partner in Berlin. Bis zum Zugriff mit einem Haftbefehl des Kölner Amtsgerichts seien seine Telefone abgehört worden.
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